Die EU-Kommission will Europa zu einem Industrie-Kontinent machen. Am Donnerstag war Industrie-Kommissar Antonio Tajani bei Christoph Leitl zu Besuch in der Wirtschaftskammer, um dafür die Werbetrommel zu schlagen. Die beiden wünschen sich eine "Reindustrialisierung" Europas. "Es braucht einen Industriepakt", sagt Tajani. Leitl sitzt neben ihm, nickt. Bis 2020 will die EU den Anteil der Industrieproduktion auf 20 Prozent des BIP steigern, im Vorjahr lag er bei 15,2 Prozent.
Die Industrie sei wichtig für Wachstum und Jobs, betonen die beiden. Dort werde viel geforscht und exportiert. Die Kommission hat ihr 20-Prozent-Ziel bereits im Vorjahr bekannt gegeben. Einzig die Wirtschaft macht nicht ganz mit. Seit 2000 geht in Europa der Anteil der Industrie fast überall zurück. Ein paar osteuropäische Länder und Deutschland gewinnen dazu, im Rest des Kontinents verliert die Industrieproduktion relativ an Bedeutung.
"In kurzer Zeit geht das sicher nicht", sagt Christian Keuschnigg vom Institut für Höhere Studien (IHS). So ein Strukturwandel sei ein längerer Prozess. Unrealistisch will er das EU-Vorhaben trotzdem nicht nennen. Was Keuschnigg stört, ist der planerische Zugang. "Die Wirtschaft sollte das produzieren, was die Menschen brauchen. Wenn Menschen mehr Dienstleistungen nachfragen, muss die Wirtschaft das auch erfüllen", sagt Keuschnigg. Er würde auf keine genaue Zielgröße hinsteuern, sondern Rahmenbedingungen setzen.
"Man muss in Bildung investieren, in Grundlagenforschung", sagt Keuschnigg. "Und dafür Sorge tragen, dass das auch in der Wirtschaft ankommt". Alles andere komme dann von selbst. Grundsätzlich sei auch ein großer Dienstleistungssektor nicht per se schlecht für das Wirtschaftswachstum. Oft gehe es da auch um Planung, technische Ausrüstung oder Anlagenbau.
Trotzdem gebe die Industrie tendenziell größere Impulse für das Wirtschaftswachstum ab, sagt Keuschnigg. Dort seien die Produktivitätszuwäche im Schnitt einfach höher als im Dienstleistungsbereich. Dienstleister seien weniger dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt als die Industrie. Der internationalste Teil der Wirtschaft sei aber immer der produktivste, zahle die höchsten Löhne und sorge auch dafür, dass die Löhne in den anderen Sektoren mitwachsen, so Keuschnigg. (Andreas Sator, derStandard.at, 19.9.2013)