Wien - Wien im Winter 1830. Nach moderaten Überflutungen ging der Pegel der Donau bereits zurück. Doch stromaufwärts staute ein Damm aus Eisschollen das Wasser auf. Als der Eisstoß brach, traf in der Nacht zum 3. Februar eine Flutwelle die Stadt und richtete enorme Schäden an. Allein in der Leopoldstadt starben 70 Menschen. Doch Hochwasser waren nicht das einzige Problem, das der vielbesungene Strom den Wienern machte, wie Forscher kürzlich in der Fachzeitschrift "Water History" berichteten.

Historische Quellen

Anhand von alten Karten, Berichten, Rechnungen für Brücken- und Regulierungsbauten, aber auch Gerichtsakten erforschten die Wissenschafter um Verena Winiwarter vom im Wien ansässigen Zentrum für Umweltgeschichte der Universität Klagenfurt, wie sich der Lauf der Donau im Raum Wien seit dem Ende des Mittelalters verändert hat. "Man fängt dazu in der Gegenwart an, denn man weiß ja, wie die Gegend heute aussieht, geht dann in der Zeit zurück und sucht Schritt für Schritt nach der nächsten historischen Quelle", erklärt Winiwarter. Allerdings könne man zum Beispiel Karten und Berichte aus dem 16. Jahrhundert nicht einfach für bare Münze nehmen und in ein modernes Geo-Raster übernehmen. Vielmehr müsse die historische Sichtweise der Chronisten berücksichtigt werden.

Animierter Flussverlauf der Donau 1715-1991/Institut für Hydrobiologie und Gewässermanagement/BOKU Wien

Kartographisches Wunschdenken

So entdeckten die Forscher zum Beispiel eine Karte aus dem Jahr 1601, in der der Wiener Arm (der Vorläufer des heutigen Donaukanals) als breiter, geradlinig fließender Strom eingezeichnet ist, während der Wolfsarm auf der Zeichnung als mickriges Flüsschen im rechten Winkel nach Norden abzweigt, erklärte Severin Hohensinner vom Institut für Hydrobiologie und Gewässermanagement der Universität für Bodenkultur Wien. "Die Leute haben den Fluss aber nicht so gezeichnet, wie er damals war, sondern wie sie ihn haben wollten". Denn der Wolfsarm war damals in Wirklichkeit der Hauptarm und der Wiener Arm drohte zu versanden. Das war für die Wiener ausgesprochen ungünstig, denn sie brauchten den Fluss nahe der Stadt - etwa als Transportweg und Schutz vor Angriffen der osmanischen Heere.

Unbeständige Regulierungsbauten

Die Wiener haben daher jahrhundertelang versucht, das Wasser mit verschiedenen Regulierungsbauten oberhalb der Stadt (bei Nussdorf) wieder in den Wiener Arm zu leiten. Doch diese Bauten hielten nie lange. "Wenn man in den Berichten nachliest, verzweifelt man fast selbst: Wenn die Bauwerke nicht im selben Jahr von einem Hochwasser weggeschoben wurden, dann hat die Donau sie in zwei bis drei Jahren nach und nach abgetragen", so Hohensinner.

Auch die Brücken über die vielen Flussarme der Donau wurden immer wieder demoliert oder weggespült; Länger als ein paar Jahre hielten sie selten, so Winiwarter. Auch die Aulandschaft änderte sich ständig, die Donau spülte Inseln weg und ließ sie anderswo wieder entstehen. Deren Grundeigentum laut Besitzurkunden war alles andere als verlässlich.

Streit um Besitztümer

So kam es zu einem aus heutiger Sicht lächerliches Geplänkel zwischen dem Stift Klosterneuburg und dem Wiener Bürgerspital, als die Veränderungen während der "Kleinen Eiszeit" in den 1560er Jahren rascher abliefen als sonst und die Inseln in der Au als Holzquelle wertvoll wurden. Denn damals brauchten die Wiener massenhaft Ziegel für die Stadtmauern und die Ziegelbrennereien verbrannten große Mengen an Holz.

Die beiden einflussreichen und finanziell potenten Institutionen stritten schließlich über hundert Jahre lang um Inseln, die in der Zwischenzeit längst verschwunden waren oder ihre Form völlig verändert hatten. Die Streitparteien zogen vor Gericht, bemühten den Kaiser, ließen Gutachten, Gegengutachten und Skizzen erstellen, die zwar nicht klären konnten, wem nun welche Donauinsel gehörte, aber den Forschern heute sehr dienlich waren, die Flusslandschaft des 16. Jahrhunderts zu rekonstruieren.

Gestritten wurde mit harten Bandagen: "Als der Streit 1580 eskalierte, stieg der Probst vom Stift Klosterneuburg sogar in eine Zille und tauchte mit einem Gewehr bei einer Insel auf, die Arbeiter des Bürgerspitals gerade befestigen wollten. Er bedrohte sie und beschimpfte sie wüst", erzählte Christoph Sonnlechner vom Wiener Stadt- und Landesarchiv.

Gebirgsflusscharakter

"Man ist bisher von einem viel zu statischen Bild der Donau ausgegangen", so BOKU-Forscher Hohensinner. Dadurch habe man auch die Unannehmlichkeiten unterschätzt, die der Fluss den Wienern bereitete. "Wien hat europaweit eine spezielle Rolle, weil es eine Großstadt ist und an einem Fluss liegt, der an dieser Stelle noch Gebirgsflusscharakter hat", erklärte er. Darum sei es auch umso beachtlicher, was die Wiener im Wasserbausektor geleistet haben. Nachsatz: "Auch wenn ihre Anstrengungen bis zur großen Donauregulierung in den 1870er Jahren meist gar nichts bewirkt haben." (APA/red, 21.9.2013)