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Gaddafi-Sohn Saif, hier bei einer Anhörung im Mai, wird in Zintan festgehalten.

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Saif al-Islam stand zwar am Donnerstag vor einem Richter, aber nicht im Rahmen des großen Verfahrens in Tripolis, mit dem die juristische Aufarbeitung der Gaddafi-Diktatur in Angriff genommen werden soll. In der Stadt Zintan, wo sich der Sohn des früheren libyschen Machthabers seit seiner Verhaftung im November 2011 in der Gewalt der lokalen Miliz befindet, ging ein öffentliches Verfahren gegen ihn wegen Gefährdung der nationalen Sicherheit während der Haft und eines angeblichen Fluchtversuches weiter. Die Sitzung wurde kurz nach der Eröffnung auf den 12. Dezember vertagt.

Zur selben Zeit war vor einer Anklagekammer in Tripolis die erste Anhörung von insgesamt 38 Exponenten des Gaddafi-Regimes angesetzt. Das libysche Volk habe lange auf diesen Prozess gewartet, er werde auf alle Fälle stattfinden, hatte am Vorabend der Generalstaatsanwalt Abdel Kader Radwani bei einer Pressekonferenz erklärt. Seiner Anordnung, Saif al-Islam zu diesem Termin nach Tripolis zu überstellen, haben die Milizen nicht Folge geleistet.

Die libyschen Behörden hatten in den vergangenen Monaten bereits mehrfach vergeblich versucht, den Transfer des jungen Gaddafi in die Hauptstadt zu erreichen. Die lokalen Milizen streiten um Macht und Einfluss. Da ist Saif al-Islam ein wertvolles Faustpfand, das in Tripolis der Kontrolle der Exrebellen von Zintan entgleiten könnte, befürchten sie.

Neben dem einzigen inhaftierten Sohn des Expräsidenten sind der ehemalige Geheimdienstchef Abdullah al-Senussi und der letzte Regierungschef Baghdadi al-Mahmudi die prominentesten Namen auf der Liste der 38. Vorgeworfen werden ihnen zahlreiche Verbrechen während des Bürgerkrieges 2011 und im Laufe der Gaddafi-Ära. Dazu zählen Mord, Anstiftung zum Bürgerkrieg, Gefährdung der nationalen Einheit oder Bildung von bewaffneten Banden. Auf einzelne dieser Tatbestände steht die Todesstrafe. Die Untersuchungsbehörden würden über Tausende Seiten an Beweisen verfügen, betonte Radwani. Die erste Anhörung war Teil des Vorverfahrens. Die Anklagekammer entscheidet dann am 3. Oktober über die Einleitung des eigentlichen Prozesses.

Aufklärung erwartet

Zum Auftakt dieses Gerichtsverfahrens, das bereits das Attribut Jahrhundertprozess erhalten hat, waren vor allem Angehörige des Massakers von 1996 im Gefängnis von Abu Selim mit über 1200 Toten vor das Gerichtsgebäude gekommen, um Gerechtigkeit zu verlangen. Als Gaddafis Vollstrecker über drei Jahrzehnte war Senussi eine der zentralen Figuren im innersten Machtzirkel. Die Libyer erwarten Aufklärung über seine Rolle bei den schlimmsten Verbrechen der Diktatur.

Saif al-Islams Verfahren könnte interessante Wahrheiten über die Geschäfte ausländischer Regierungen mit dem Regime in Tripolis ans Licht bringen. Der 42-Jährige hatte über Jahre als eine Art Außenminister seines Vaters agiert und war auch mit dem verstorbenen Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider befreundet.

Die Regierung in Tripolis streitet sich nicht nur mit den Milizen von Zintan sondern auch mit dem Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag. Der verlangt die Auslieferung von Saif al-Islam und Senussi, weil die Voraussetzungen für ein faires Verfahren in Libyen nicht gegeben seien. Eine Reform der Justiz, die vor der Revolution von 2011 für Schauprozesse bekannt war, hat bisher noch nicht stattgefunden. Für Dutzende politische Morde, darunter auch an Richtern, konnte niemand zur Verantwortung gezogen werden.

Zweifel gibt es nicht nur an den juristischen Standards, sondern auch an der Sicherheit von Angeklagten und Zeugen. Wie als Beweis, wurde vor wenigen Tagen Senussis Tochter entführt. Am Mittwoch hat auch Amnesty International Tripolis aufgefordert, die beiden Haupangeklagten an den ICC auszuliefern. Libyens Regierung will aber beweisen, dass sie ein faires Verfahren führen kann. (Astrid Frefel, DER STANDARD, 20.9.2013)