Reinhold Glehr (links im Bild): "Wichtig ist, dass ärztliche Qualität gesichert ist. Hier geht es um Existenzängste."

Hans Jörg Schelling (rechts im Bild): "Ich denke, wir müssen auch zu Änderungen in der Honorarordnung der Ärzte kommen."

Foto: Philipp Naderer

Jungärzte fühlen sich nach ihrer Ausbildung im Spital nicht fit genug, um in die Selbstständigkeit zu gehen. Mit welchen Maßnahmen dem drohenden Hausärztemangel gegengesteuert werden soll, diskutieren der Vertreter der Hausärzte Reinhold Glehr und der Chef des Hauptverbandes Hans Jörg Schelling.

STANDARD: Durch die Gesundheitsreform sollen die teuren Krankenhäuser entlastet werden und die niedergelassenen Ärzte mehr Aufgaben übernehmen. Allerdings stehen vor allem im ländlichen Raum viele Pensionierungen an. Wie soll das also gehen?

Schelling: Die Reform hat kurz-, mittel- und langfristige Konzepte. Den niedergelassenen Sektor wollen wir vor allem langfristig stärken. Dazu muss sich auch in der Ärzteausbildung etwas tun, damit wir die integrierte und interdisziplinäre Versorgung verbessern können. Gerade bei chronischen Krankheiten muss der niedergelassene Arzt Gatekeeper-Funktionen übernehmen. Und natürlich müssen dafür die Voraussetzungen geschaffen werden. Gleichzeitig müssen wir erheben, wo es Defizite gibt. In der Reform ist der "Best Point of Service" festgeschrieben. Wir müssen nun klären, wo, für welches Problem die beste Anlaufstelle ist. Ich gebe aber zu, dass wir dazu derzeit nur eingeschränkt in der Lage sind, weil noch nicht alle Voraussetzungen gegeben sind.

Glehr: Es gibt schon jetzt große Unterschiede zwischen Stadt und Land. Österreich wird oft von Wien aus gemessen, und hier gibt es die größte Ärztedichte, in der Grundversorgung aber große Probleme. Auf dem Land ist die Situation derzeit noch gut. Es stimmt aber, dass hier Veränderungen drohen. Für die Zukunft habe ich Sorge, dass uns - wie es in Deutschland der Fall ist - die Hausärzte abhandenkommen.

STANDARD: Mit welchen konkreten Maßnahmen ließe sich gegensteuern?

Glehr: Die Ausbildung der Ärzte muss nicht nur besser, sondern auch spezifischer werden. Die Klagen über die Situation im Turnus sind sehr groß. Es gibt aber auch große Ängste bei jungen Ärzten, in die Selbstständigkeit zu gehen, weil sie sich dafür nicht fit genug fühlen. Deshalb fordern wir auch, dass die Lehrpraxis ausgebaut wird, damit die jungen Ärzte die Praxis kennenlernen können.

Schelling: Hier liegen wir inhaltlich nicht auseinander. Die Aufgabe ist vor allem, dass die künftigen Hausärzte jene Dinge lernen, mit denen sie im Alltag ständig konfrontiert sind. Im niedergelassenen Sektor begegnen den Ärzten vor allem Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates und vor allem auch viele psychische Krankheiten. Im Turnus liegt der Schwerpunkt aber auf anderen Bereichen. Eine sinnvolle Anamnese lernt man zudem nur bei einem praktischen Arzt und nicht im Spital mit seinen Spezialisierungen. Anders gesagt: Ein Turnusarzt im Krankenhaus sieht Patienten, wie sie einem Hausarzt begegnen, in der gesamten Ausbildung nicht. Wir fordern seit langem einen Ausbau der Lehrpraxen - derzeit wird über die Finanzierung und die Dauer von sechs beziehungsweise zwölf Monaten gesprochen.

Glehr: Es tut sich in einigen Bereichen schon etwas. In den vergangenen Jahren ist auch ein Bewusstseinswandel erkennbar. Ich habe selbst an der Universität Graz einen Lehrauftrag und sehe, wie wichtig die Kommunikation mit den Patienten ist. Es tut sich sehr viel, es kann aber nie genug sein.

STANDARD: Sie sprechen von Anamnese und besserer Kommunikation mit den Patienten. Oft klagen Ärzte und Patienten über zu wenig Zeit. Wie wollen Sie das ändern?

Schelling: Das ist ein schwieriges Problem. Ich denke, wir müssen auch zu Änderungen in der Honorarordnung der Ärzte kommen. Arztgespräch und Zuwendungsmedizin müssen neu definiert werden. Das bedeutet auch, dass man in der Honorarordnung der Ärzte alte Zöpfe wird abschneiden müssen. Statt eines Gesamtvertrags brauchen wir drei Verträge für Praktiker, Fachärzte und technische Fächer. Ein Radiologe hat ja mit der Kommunikation mit Patienten wenig zu tun, dafür aber die wirtschaftliche Hürde der hohen Investitionen. All das definiert ja dann auch, ob der Beruf attraktiv ist. Wir müssen einerseits die Versorgung und andererseits auch die Einkommenssituation sicherstellen.

STANDARD: Landärzte pochen oft auch auf die Zusatzeinkommen durch Hausapotheken.

Schelling: Das ist nicht nötig, aber in manchen Situationen vielleicht auch ein Lösungsansatz. Ich kann mir auch vorstellen, dass es manche Regionen gibt, in denen ein Arzt angestellt wird, wenn das nötig ist. Was in jedem Fall nicht geht, ist, dass wir Versorgungsleistungen irgendwo nicht anbieten.

Glehr: Das Problem der Versorgung auf dem Land ist sicher nicht einfach durch die Hebung der Ärztezahl zu lösen. Es gibt genügend Ärzte in Österreich, aber es geht um die Verteilung. Das ist das Problem, und dafür brauchen wir Änderungen bei den Rahmenbedingungen. Man muss den jungen Medizinern erklären, warum sie Hausarzt werden sollen. Diese Rahmenbedingungen sind auch wichtig, um eine Abwanderung unserer Ärzte ins Ausland zu verhindern. Derzeit werden unsere Ärzte von anderen Ländern abgeworben.

STANDARD: Manche Länder bauen auch die niedergelassene Versorgung mit nichtärztlichen Berufen wie speziell geschulten Pflegekräften aus und lassen die fachärztliche Versorgung in Spitalsambulanzen erbringen. Ist das ein Weg?

Schelling: Der Facharzt ist generell schon gleichzustellen mit der Spitalsambulanz. Es gibt jetzt Modelle, die vorsehen, dass niedergelassene Fachärzte in Ambulanzen arbeiten, auch um diese zu entlasten. Ich will aber in vielen Bereichen nicht auf den niedergelassenen Facharzt verzichten. Es gibt eine Reihe von Konzepten. Die angesprochene Pensionswelle ist auch eine historische Chance für Veränderungen.

Glehr: Bei den niedergelassenen Fachärzten geht es auch darum, dass das Investitionsrisiko abgesichert wird.

Schelling: Hier gibt es sicher auch Fächer, für die sich Spezialzentren entwickeln werden.

Glehr: Wichtig wird künftig sein, dass genau mit solchen Zentren oder eben auch den Fachärzten eine gute Zusammenarbeit mit den niedergelassenen Allgemeinmedizinern möglich ist. Die angesprochene Aufwertung von Mitarbeitern ist eine Riesenchance. Wir haben uns da auch schon Modelle in Deutschland angesehen, die interessant sind.

STANDARD: Was passiert dort?

Glehr: Es gibt Konzepte, die so ausgelegt sind, dass höher gebildete Ordinationshilfen vor allem bei chronischen Erkrankungen eine gute Entlastung für Ärzte sein können - etwa in der Beratung oder laufenden Betreuung. Die Finanzierung muss da natürlich leistbar und möglich sein. "Nurse practitioners", also Schwesternärzte, wie sie in England bezeichnet werden, sehen Pflegekräfte als Ersatzanlaufstelle für Ärzte vor, genau das halte ich aber nicht für zielführend.

Schelling: Die Ärztekammer steht hier Öffnungen durchaus positiver gegenüber. In puncto Einbeziehung nichtärztlicher Berufe in die Versorgung von Patienten haben die Ärzte schon einmal die Gespräche abgebrochen. Hier gibt es noch viele Hindernisse. Blutabnahmen könnten vielleicht auch gut ausgebildete, nichtärztliche Kräfte machen. Wir müssen in diesen Fragen beginnen, diese Probleme vor allem aus der Patientensicht zu lösen. Es geht um die Einbeziehung der nichtärztlichen Berufe in die Versorgungskette auf Basis ihrer Qualifikationen. Das wirft natürlich auch die Frage auf, wer wo beschäftigt ist. Kann etwa ein Physiotherapeut von einem Arzt angestellt werden?

Glehr: Sie haben Recht, hier gibt es viele Missverständnisse zu klären. Wichtig ist aber, dass bei der Erstanlaufstelle die ärztliche Qualität gesichert wird. Man darf das Feld nicht zu weit öffnen, hier geht es ja um Existenzängste.

Schelling: Damit unser Zugang klar ist: Die schlussendliche Verantwortung hat immer der Arzt. Wenn wir aber eine integrierte Versorgung haben wollen, brauchen wir auch eine Integration der anderen Berufsgruppen. Wichtig ist hier vor allem die Kommunikation miteinander. Bei der Reform sind zwei Dinge wichtig: Wir müssen klären, wer der Koordinator ist und wohin ein Patient geschickt wird. Und wir müssen außer Streit stellen, dass der Reformkurs wichtig und richtig ist.

STANDARD: Was sind also die zentralen Forderungen?

Glehr: Die Aufgabe des Arztes wird künftig sein, die verschiedenen Gruppen von Patienten richtig zu erkennen und sie optimal im System zu begleiten.

Schelling: Wichtig erscheint mir auch eine Vernetzung mit der Pflege. Die Frage, wie man die Schnittstelle Arzte und Pflege optimiert, ist komplex. Das schieben alle vor sich her. Hier sind ja auch die Länder gefordert. Wir müssen klären, wie man Pflege und Management von Krankheiten definiert und wie man Ärzte und Pflegekräfte so ausbildet, dass sie darüber besser kommunizieren können. (Martin Schriebl-Rümmele, DER STANDARD, 16.9.2013)