Pretoria/Wien - Aids-AktivistInnen, MedizinerInnen und ein deutsches Pharmaunternehmen sind schockiert und entrüstet: Südafrikas Regierung in Pretoria will ein Aidsmedikament für Babys verbieten. Noch dazu eines, das gar nichts kostet, lamentiert auch der britische New Scientist. Andere ExpertInnen dagegen sind gar nicht so unglücklich, dass die umstrittene Pille verschwinden soll.

In Südafrika leben heute knapp fünf Millionen Menschen, die HIV positiv sind. Mehr als in jedem anderen Staat. Noch im Jahr 2001 kamen rund 100.000 Babys zur Welt, die sich schon im Mutterleib mit dem tödlichen Aidserreger infiziert hatten.

Seit 2002 kommt daher ein von Boehringer Ingelheim entwickeltes Präparat zum Einsatz, das diese Virenübertragung verhindern soll: Nevirapine. Dieses steht zwar auf der WHO-Liste der unentbehrlichen Arzneien, in Europa und den USA ist das Medikament jedoch verboten. Warum?

Wie alle Aidsmedikamente hat auch Nevirapine schwere Nebenwirkungen, die europäische Zulassungsbehörde warnt etwa vor potenziell tödlich verlaufenden Haut- und Leberschäden. Auch die Langzeitwirkung des Mittels auf das Baby ist nicht geklärt. Die Arznei wird sehr schnell absorbiert, gelangt über die Plazenta in das Blut des Kindes und auch in die Muttermilch.

Nachdem Boehringer in den USA und Europa abgeblitzt ist, hat das Unternehmen angekündigt, das Medikament kostenlos für Entwicklungsländer zur Verfügung zu stellen. Da sich die Regierung in Pretoria zunächst geweigert hatte, das Geschenk anzunehmen, wurde sie von der Treatment Action Campain geklagt. Das Gericht gab der Hilfsorganisation Recht, Pretoria musste die bittere Pille schlucken.

Neue wissenschaftliche Daten über die Arznei sind bis heute nicht veröffentlicht. Die Regierung hat dem Pharmakonzern nun 90 Tage Zeit gegeben, die Effizienz der Arznei unter Beweis zu stellen. Denn eine 1999 in Uganda durchgeführte Studie an rund 50.000 schwangeren Frauen hätte etliche Verfahrensfehler, würde Sinnhaftigkeit und Sicherheit von Nevirapine nicht belegen. Boehringer, schreibt das britische Wissenschaftsmagazin weiter, habe jedoch noch keine anderen Untersuchungs-und Vergleichsdaten, eben weil das Medikament in Europa und den USA in der klinische Anwendung verboten ist. Sollte die Arznei nun auch in Südafrika verboten werden, drohen ÄrztInnen, die das Mittel dennoch einsetzen, bis zu zehn Jahre Haft.

Südafrikanische KinderärztInnen und Aids-AktivistInnen, die auf das Mittel schwören, sprechen laut New Scientist von einem Rückschlag und Rückschritt in der Behandlung und Eindämmung der Immunschwächekrankheit. Andere Me- diziner hingegen lehnen die zwangsweisen Gratispillen schon seit jeher aus ethischen Gründen ab und vermeinen, die Aktion sei ein großer, aber versteckter Medikamententest in einem Entwicklungsland, um schließlich doch noch entsprechende Daten für eine finanzträchtige Zulassung der Pille in westlichen Ländern zusammenzubringen. (fei/DER STANDARD, Printausgabe 02.08.2003)