Wien - Wenn er vor Bauern im Bierzelt spricht, dann weiß Mathias Thaler, welche Register er ziehen muss, um sein Publikum aufzustacheln: "Bloß weil irgendwo ein Stelzvogel gelandet ist, muss man doch nicht gleich einen ganzen Bezirk als Natura-2000-Gebiet ausweisen."

Tatsächlich rangiert das Natura-2000-Programm ganz oben auf der Sorgenliste der Land- und Forstwirte.

Thaler, als Direktor des Bauernbundes einer ihrer Sprecher, erinnert sich: "Da ist ein Haufen kluger Leute durch Europa gezogen und hat Flächen als schutzwürdig ausgewiesen - da hat es praktisch keine Einbindung der Eigentümer gegeben. Bisher hat es ja nur ein ein ,Verschlechterungsverbot' gegeben, aber jetzt werden konkrete Maßnahmenpläne erstellt, da entstehen auch Kosten für die Eigentümer, weil ihre wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit, zum Beispiel beim Düngen, eingeschränkt wird."

Wie bedeutend diese Einschränkungen sein könnten, geht etwa daraus hervor, dass in Niederösterreich zunächst ein Drittel der Landesfläche als Natura-2000-Gebiet ausgewiesen wurde. "Das war eine Fleißaufgabe der Beamten", sagt Gerhard Heilingbrunner vom Umweltdachverband, "die haben alles, was in Niederösterreich Landschaftsschutzgebiet ist, etwa den ganzen Bezirk Waidhofen an der Ybbs, nach Brüssel gemeldet."

So wurde vorgegaukelt, dass in Österreich eine riesige Fläche strengsten Schutzes bedürfte - ein Schwindel mit doppelt negativen Folgen: [] Einerseits wurden die Grundeigentümer unnötig gegen die Naturschutzinteressen aufgebracht. [] Andererseits wird nicht genügend differenziert - wenn ohnehin so viel geschützt ist, dann erscheint der Verlust einer kleinen Fläche im Einzelfall "nicht so schlimm".

Genau das aber entspricht der gängigen Praxis: Gebiete werden als schutzwürdig ausgewiesen, mit Steuermitteln (oft aber auch mit Spendengeldern und Freiwilligen-Arbeit) gepflegt - aber wenn es dem einen oder anderen Politiker (oder einem Unternehmen mit guten politischen Verbindungen) opportun erscheint, wird der Schutz aufgehoben und kleinweise in das Landschafts- oder Naturschutzgebiet eingegriffen.

Naturschützer erwarten sich von der Umsetzung der Natura-2000, dass der Naturschutz ein für alle Mal der politischen Willkür entrissen wird: "Wenn ein Gebiet unter dem Schutz von Natura-2000 steht, dann kann sich der Landeshauptmann, der Nationalrat, der Bundeskanzler, von mir aus auch der Herr Bundespräsident auf den Kopf stellen - nach EU-Recht geht in einem Natura-2000-Gebiet nichts", sagt Heilingbrunner.

Deshalb hätten manche Bundesländer auch gezögert, Gebiete einzumelden, wo vielleicht einmal eine andere Nutzung denkbar erscheint. So hat das Land Steiermark etwa "vergessen", die Höhlensysteme der Weizklamm und der Lurgrotte nach Brüssel zu melden - obwohl es eine europarechtliche Verpflichtung nach der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie gegeben hätte.

"Für viele Fledermausarten stellen diese Höhlen ein Hauptüberwinterungsgebiet von gesamtösterreichischer Bedeutung dar", sagt die Säugetierexpertin Friederike Spitzenberger - eine Anzeige in Brüssel soll die Steiermark zwingen, die Höhlen doch noch unter Schutz zu stellen.

Heilingbrunner räumt ein, "dass Natura-2000 am Anfang ,Chaos de luxe' war". Tatsächlich würden etwa in Niederösterreich am Ende nur zwölf bis 14 Prozent der Landesfläche Natura-2000-Gebiet sein. Doch noch bevor das Programm richtig läuft, steht es etwa an der Ybbs bereits auf dem Prüfstand: Dort bedrohen nach Angaben des WWF drei Kraftwerksprojekte den eigentlich durch Natura-2000 zu schützenden Lebensraum.

Der Auenökologe Ulrich Eichelmann fürchtet, dass die Kraftwerke trotzdem gebaut werden und ihnen dann "ein grünes Mäntelchen umgehängt" wird - in Form von Behübschungen, "Biotopverbesserungen" und Fischleitern.(Conrad Seidl/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 2./3. 8. 2003)