1991 plagten Jean-Charles Duval, Erbe eines 1859 gegründeten Champagnerherstellers, schwere Sorgen. Beim erst 39-Jährigen wurde Krebs diagnostiziert. Die ÄrztInnen gaben ihm noch einige Monate, doch ihm blieben nur wenige Wochen.

Duval musste seine Nachfolge regeln. Als sein Atem schon flach war, versammelten sich um sein Lager die Führungskräfte und seine Frau Carol. Die gebürtige Belgierin mit der hellen Stimme war beliebt, weil sie gern kommunizierte.

Das Ehepaar hatte drei kleine Söhne. Deren Mutter kümmerte sich um die Familie, brachte Kunst ins Haus und organisierte Feste, die in die Historie des Traditionshauses eingingen. Kurz vor seinem Tod entschied ihr Mann: "Du musst das Geschäft übernehmen".

Der letzte Wille

Manager und Kellermeister nickten. Sie stimmte zu, obwohl sie nicht vom Fach war. Schließlich ging es um das Renommee eines anerkannten Champagnerhauses, bis heute zu 100 Prozent im Besitz der Gründerfamilie. Es war ihre direkte, zupackende Art auf die man/frau setzte.

Seit zwölf Jahren führt Carol Duval Leroy (47) das Unternehmen zielstrebig, bewirtschaftet 150 Hektar Weinberge, die zu den schönsten Lagen der Champagne gehören, und schaffte die Verbindung von jahrhundertealter Tradition und neuestem technischen Know-how.

Trauben werden druckluftgesteuert gepresst, 80.000 Hektoliter reifen in 150 Edelstahltanks, ihr Inhalt wird in sechs Millionen Flaschen abgefüllt. Bei Magnumflaschen werden die Etiketten per Hand aufgeklebt, das hat mehr Stil als Roboterarm-Monotonie.

Typisch für die neue Linie, die von der Unternehmerin mit sanfter Rigorosität verfolgt wird, ist das hübsche Herz auf jedem Etikett. So geformt wie der Ort Vertus, in dem Duval-Leroy residiert.

"Ich bevorzuge leichte, weibliche Weine", sagt die Champagnerproduzentin. Eine Kreation hat sie "Femme" genannt. Passagiere der Lufthansa kennen sie, auf Langstrecken wird sie exklusiv serviert.

Vorgängerin vor 200 Jahren

Die Champagne kennt aber auch noch eine andere Karrierefrau. Vor knapp 200 Jahren gab es schon einmal eine junge Witwe mit Power. Als Barbe-Nicole Ponsardin Veuve Clicquot ihren Mann, einen Champagnerhändler, verlor, musste sie das Haus durch die Wirren Napoleonischer Kriege führen. Sie veredelte Veuve Clicquot zum Getränk der fürstlichen Schickeria. Noch der verbannte Napoleon hatte auf der kargen Insel St. Helena das Anrecht auf eine Flasche Champagner pro Tag.

Als die "Witwe Clicquot" 1866 starb, war der Champagner ein für alle Mal etabliert. Die moderne Witwe Clicquot ist Carol Duval-Leroy, daran gibt es in der Champagne keinen Zweifel. Was sie auch anpackt, gelingt. In Vertus hat sie einen pragmatischen Industriebau mit breiten Zufahrten für Lastwagen bauen lassen. Der Weinkeller ist nicht in Kreide geschlagen, sondern mit Beton abgestützt, die Gerätschaften sind auf dem neuesten Stand.

Pro Jahr werden eine Million Euro in die Modernisierung investiert. Zehn Jahre lang hat die Chefin andere Erben ausgezahlt. Jetzt ist sie frei, hängt nicht am Tropf einer Bank, muss nicht fusionieren.

Offiziell verwaltet Carol Duval-Leroy das Eigentum der drei Söhne. Nach französischem Recht kann der Vater seinen Besitz nur an seine Kinder vererben. Doch ob die Söhne, die Eliteschulen besuchen, je in die Firma eintreten werden, ist ungewiss. Sie haben ja ihre Mutter, einen Workaholic erster Güte.

Umsatzzahlen gibt sie nicht bekannt, doch dass es Duval-Leroy gut geht, ist in der Firmenzentrale zu spüren. Carol Duval-Leroy erkannte die Notwendigkeit zeitgemäßen Marketings. Neben 120 Angestellten in Vertus beschäftigt sie ebenso viele Vertreter.

Sie eröffnete Filialen in Brüssel, London, Hamburg und New York, reist viel und lässt es in Königshäusern und an Orten prickeln, wo sich High Society und Paparazzi kreuzen. Das schafft Image.

Duval-Leroy gehört inzwischen zu den Top Ten der Champagnerhersteller und hat internationale Preise in Serie erhalten. Welt-Sommelier Markus Del Monego und berühmte Chefköche haben sich auf Champagner von Duval-Leroy festgelegt und Menüs kreiert, die ihn in Verbindung mit ausgewählten Speisen zum unvergleichlichen Genuss kombinieren.

Die Chefin hat auch einen Vegetarian-&-Vegan-Brut im Angebot, ein Novum. Bei der Champagnerherstellung wird auch Eiweiß von Fisch, Eiern oder Milch eingesetzt, sie klären den Most und schönen den Wein. Carol Duval-Leroy ließ so lange experimentieren, bis der "koschere" Champagner erfunden war, den selbst Veganer, die weder Milch noch Eier zu sich nehmen, reuelos genießen können.

"Champagner ist ein Getränk für alle", gibt sich die Unternehmerin egalitär. Carol Duval-Leroy lebt allein in einer lichtdurchfluteten Villa in unmittelbarer Nähe ihres Unternehmens, ihre Hobbys sind Jagen, Golfen und Gartenkunst. Sie fährt deutsche Autos, züchtet Labradorhunde und träumt davon, ein Spitzenrestaurant zu eröffnen. Am liebsten in New York, ihrer Lieblingsstadt. Doch dafür ist zurzeit keine Zeit.

Deshalb bekocht sie ihre Gäste im eigenen Haus. Das Erlesenste, was auf den Tisch kommt, ist der Champagner, der auch ihren Namen trägt. (DER STANDARD, Printausgabe 02.08.2003)