Andreas Felber

Krems - "In Mauretanien verkörpert Musik die Kontinuität, die Tradition, die bis zum Ende der Welt fortdauern wird. Die Musik ist unsere Ehre!" Ooleya Mint Amartichitt lässt keinen Zweifel an ihrer Berufung. Als Angehörige einer alten Familie aus der Berufsmusikerkaste ist die Tradition ihrer Vorväter ihre Mission. Westliche Musik habe sie nie wirklich interessiert.

Die Stimmen, an denen sie sich zeit ihres jungen Lebens orientierte, waren rein afrikanischer Herkunft: Jene der legendären ägyptischen Sängerin Oum Kalthoum sowie jene Baaba Maals, des senegalesischen Superstars. Tatsächlich wirkte die Mauretanierin, die donnerstags mit ihrem Familienensemble beim Glatt-&-Verkehrt-Festival ihren ersten Österreich-Auftritt absolvierte, wie einer Erscheinung aus einer anderen, alten Welt.

Freundlich distanziert im Auftreten, stets darauf bedacht, dass das Kopftuch nach islamischer Sitte den Haaransatz vollständig bedeckt, erzählt sie - während der ältere Bruder Dey als Übersetzer an ihrer Seite bleibt -, dass sie in Europa in Ermangelung der Muezzine regelmäßig in die Heimat telefoniere, um die Gebetszeiten zu erfahren.

Dort, in Mauretanien, dem abgeschiedenen, ebenso riesigen wie dünn besiedelten Wüstenstaat zwischen Maghreb und Schwarzafrika, gilt Ooleya Mint längst als Superstar. Eine Einladung vom Präsidenten, Mitte der 90er-Jahre beim Gipfeltreffen der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas in der Hauptstadt Nouakchott aufzutreten, bedeutete den Durchbruch der jungen Sängerin, die bis dato nach alter Griot-Tradition bei Hochzeiten und Begräbnissen in Erscheinung getreten war.

Die Starwünsche

Der Sprung nach Westeuropa erfolgte 1998 auf Einladung des Pariser Institut du Monde Arabe, später erschien das CD-Debüt Lounges/Praise Songs. Seither ist sie einen Gutteil des Jahres auf Reisen: "Ich sehe mich als Botschafterin der Kultur meines Landes. Ich will ein Star werden!", sagt Amartichitt dazu, ohne mit der Wimper zu zucken.

Wie sie mit dem Widerspruch umgehe, dass im Westen das immer intensivere Erforschen und Vermarkten des (vermeintlich) Unverfälschten, Authentischen zuweilen das Etikett "postkoloniale Ausbeutung" trage, während man gleichzeitig die Migrationsmauern der "Festung Europa" hochzieht? Und es sogar passieren kann, dass - wie unlängst in Wien - ein mauretanischer Landsmann im Zuge polizeilicher und rettungsdienstlicher Amtshandlungen zu Tode kommt?

"Ich bedaure dies sehr und spreche der Familie mein Beileid aus", so Amartichitt. "Andrerseits: Die Künstler in Afrika, besonders in Mauretanien, brauchen Unterstützung. Wenn afrikanische Sänger stimmliches Potenzial haben, soll man sie exportieren. Damit hilft man ihnen." Dass Ooleya Mint Amartichitt über derlei Potenzial verfügt, das ist unbestritten:

Die ekstatische Sangeskunst, mit der die Preislieder auf den Propheten Mohammed und verdiente Vorfahren dargeboten werden, spiegelt die Brückenstellung Mauretaniens zwischen arabischer und afrikanischer Welt wider und wirkt auch für westliche Ohren zugänglich.

Einem Status wie Madonna, von dem Bruder Dey träumt, wird wohl allein schon der instrumentale Kontext, das filigrane Pulsieren der Kalebassenharfe Ardin und der Laute Tidinit (nach altem Rollenmuster Frauen bzw. Männern vorbehalten) und Trommel entgegenstehen. Glücklicherweise, will man hinzufügen. Man darf gespannt sein, wie kommerzialisierungsresistent und doch gleichzeitig massenkompatibel sich diese neue Ikone afrikanischer Musik erweisen wird.