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Nikola Hartmann war eine Weltklasse-Ringerin, aber nie bei Olympia

Foto: Reuters

Dornbirn - Fünfmal WM-Gold, fünfmal EM-Gold, dazu sieben weitere Medaillen bei internationalen Titelkämpfen. Wer eine Karriere mit solch einer Bilanz abschließen kann, kann durchaus stolz sein. Nikola Hartmann ist stolz. Und doch fehlt etwas. Hartmanns Sportart war nicht Skifahren, Tennis oder Leichtathletik. Sondern "nur" Ringen. Das ist, was den Aufmerksamkeitsgrad betrifft, wie Gewichtheben, Judo oder Synchronschwimmen. Aber immerhin besser als Klettern, Squash oder Softball. Die olympische Bühne macht den Unterschied. In einer Randsportart, wie es Hartmanns nun einmal ist, wird nur alle vier Jahre um breite Aufmerksamkeit gerungen.

2004 in Athen durften Frauen erstmals olympisch ringen. Da war Nikola Hartmann, damals Hartmann-Dünser, 29 - an sich in einem guten Ringerinnenalter. Aber sie verpasste die Qualifikation für die Spiele. "Es waren die Nerven, ich bin an mir selbst gescheitert." Und an einer Gegnerin, die die Vorarlbergerin bis dahin immer fest im Griff hatte. Damals war das eine große Enttäuschung. Aber das ist lange her.

Heute ist anderes wichtiger im Leben der 38-Jährigen. Ihr 18 Monate alter Sohn Noah zum Beispiel. Gemeinsam mit ihm und ihrem Partner lebt Hartmann in Dornbirn. Am Bundesgymnasium in Bludenz unterrichtet sie Psychologie und Philosophie sowie Sport. "Es macht mir Spaß." Auch wenn jetzt zu Schulbeginn viel zu tun sei - kein Vergleich zu früher. Zu unterrichten begann sie bereits 2001 - mit halber Lehrverpflichtung, aber auch noch voller Aufmerksamkeit für den Sport. Ergab 13-Stunden-Tage. "Trainieren, unterrichten, trainieren, schlafen." Für anderes blieb kaum Zeit. "Heute wäre ich dazu nicht mehr bereit."

2009 beendete Hartmann im Alter von 34 Jahren ihre sportliche Karriere. Es sei der richtige Zeitpunkt gewesen. Das Ringen hat ihr immer großen Spaß bereitet. Sogar zu Weihnachten oder Silvester ist sie freiwillig trainieren gegangen. Vor vier Jahren war die Freude dann irgendwie vorbei. 19 Jahre als Ringerin reichten.

Ringen in die Wiege gelegt

Bereits fünfjährig stand Hartmann auf der Matte. Ihr Vater Bruno, damals und heute noch Trainer beim KSV Götzis, nahm sie in die nur einen Steinwurf von ihrem Zuhause entfernte Ringerhalle mit. Das Mädchen hatte Talent, legte so manchen Buben aufs Kreuz. Einer hörte sogar auf, nachdem er sich der Jungringerin geschlagen geben musste. Hartmann durfte daraufhin nicht mehr an Wettkämpfen teilnehmen. Frauen- respektive Mädchenringen war damals noch nicht existent. Also beendete sie ihre Ringerkarriere im zarten Alter von sechs Jahren. Hartmann probierte sich in anderen Sportarten wie Skifahren, Handball oder Leichtathletik. Als Speerwerferin schaffte sie es sogar zu einer Junioren-WM.

Irgendwann kehrte Vater Hartmann, der in Österreich als der Förderer des Damenringens gilt, von einem Turnier zurück, bei dem auch Frauenwettkämpfe stattfanden. Da war seine Tochter 15. Nach anfänglicher Skepsis beugte sich die Jugendliche dem familiären Zuspruch ("Das wär doch was für dich") und begann ihre Laufbahn als Ringerin von neuem. Mit 17 trat sie erstmals bei Weltmeisterschaften an. "Ich bin kläglich gescheitert." Ein Jahr später war sie Weltmeisterin. Der Beginn einer langen Dominanz. Von 1993 bis 2000 blieb die Freistilkämpferin in ihrer Gewichtsklasse bei Welt- und Europameisterschaften unbesiegt.

Irgendwann wurde die Konkurrenz dann stärker. Nach der gescheiterten Olympia-Qualifikation 2004 entschied Hartmann, noch wenigstens vier Jahre weiterzumachen, um sich die Chance auf Peking 2008 zu wahren. Ringen unter olympischen Ringen - das war der große Traum. 34-jährig war Hartmann nicht mehr dominierend, verpasste es abermals, sich sportlich zu qualifizieren. "Ich hatte immer Hammerlose und habe meistens nur knapp verloren." Beim Qualifikationsturnier im September 2007 scheiterte sie nur aufgrund einer unglücklichen Regel- und Heimvorteilauslegung für ihre Konkurrentin aus Aserbaidschan. Hartmann legte Protest ein und bekam recht. Der Ringer-Weltverband (Fila) gab der Vorarlbergerin eine Wildcard für Peking. Der Traum von Olympia wäre also doch noch wahr geworden. Bloß das Österreichische Olympische Komitee (ÖOC) hatte etwas dagegen - Athleten mit Wildcards wollte man nicht mitnehmen. "Das war die größte Enttäuschung meiner Karriere."

Familie statt Verbandsjob

Den Ringsport verfolgt Hartmann heute noch mit großem Interesse. Einmal wöchentlich steht sie als Kindertrainerin beim KSV Götzis auf der Matte. Ein Job im nationalen Ringsportverband (ÖRSV) stand für die hochdekorierte Sportlerin nach dem Karriereende nicht zur Debatte. Einerseits, weil ihrem Vater als Bundestrainer gekündigt worden war - er hätte halt gesagt, wenn ihm was nicht gepasst habe -, andererseits war dann auch die Familienplanung wichtiger. "Und wenn ich was mache, dann will ich es zu hundert Prozent machen."

Dafür hat sich die Vorarlbergerin in der Fila engagiert. Von 2004 bis 2010 war sie Athletensprecherin und sorgte dort für die Erfüllung der vom Internationalen Olympischen Komitee geforderten Frauenquote. Dass sie 2010 nicht wiedergewählt wurde, war ihr ganz recht. Im Weltverband seien viele alte Männer gesessen. "Die waren an Veränderungen nicht interessiert."

Frauenringen als Rettung

Umso erfreuter nahm Hartmann die jüngsten Reformen im Ringsport zur Kenntnis. Unter dem Druck der drohenden Streichung aus dem olympischen Programm schaffte es die Fila unter dem neuen Präsidenten Nenad Lalovic, sich in Rekordzeit neu zu erfinden. "Das war das Beste, was dem Ringen passieren konnte", sagt Hartmann. Regeln wurden vereinfacht, mehr Gewichtsklassen für Frauen eingeführt. Die Belohnung: Ringen bleibt jedenfalls bis 2024 olympisch, wie das IOC vor einer Woche in Buenos Aires entschied. Das Frauenringen hat den Sport gerettet. Davon ist Hartmann überzeugt.

Ob die 38-Jährige ihre Karriere als unvollendet ansieht, weil sie nie bei Olympischen Spielen ringen durfte? Hartmann verneint. "Ich bin in die 'Hall of Fame' des Ringsports aufgenommen worden. Und immerhin ruft mich der Standard an." (Birgit Riezinger, DER STANDARD, 16.9.2013)