Die Notaufnahme ist ein Ort des Ausnahmezustandes. Vor allem in den Wochenendnächten. Der Ausnahmezustand erstreckt sich von Patienten und Angehörigen bis zum Personal, das unter großem Druck und mit wenig Schlaf alle Gebrechen des eintreffenden menschlichen Körpers stellvertretend für das gesamte Spital abfangen muss. Die Notsituation ist ein Riss des Alltäglichen, aus diesem Riss spürt man die eigene Endlichkeit hereinwehen. Als Begleiter. Als Betroffener. Eine Notaufnahme ist ein Ort, an dem man Zuflucht sucht, vergleichbar mit einem mittelalterlichen Kirchenasyl.

Oft genug habe ich hier Hilfe erhalten. Dafür bin ich dankbar. Die Bürokratie ist aber ebenso wie die Politik gefragt, wie man diese Zuflucht aufrechterhalten könnte. Damit nicht aufgrund undeutlich kommunizierter Abläufe und unmenschlicher Bedingungen die Verantwortung am übermüdeten kleinsten Rädchen hängenbleibt, das den Anruf bei der Polizei vermutlich gut gemeint hat. Ein Polizeieinsatz hat im Spital nichts verloren, wenn keine Gefahr für Personal und Patienten droht. Falls man nicht verursachen möchte, dass Opfer von Gewalt und Missbrauch und andere Verzweifelte aus Angst in Zukunft fernbleiben. Auch nicht, wenn das Verbrechen darin besteht, ohne einen gültigen Asylantrag mit der Rettung eingeliefert worden zu sein.

Um das Krankenbett einer 18-Jährigen postierte Polizisten sollten schon allein aus Gründen des Therapieerfolges nicht State of the Art sein. Die Erklärung der Polizeisprecherin, der Einsatz sei zum Schutz gedacht gewesen, wirft Fragen auf. Hätte sich das Mädchen um Mitternacht verwandeln und womöglich das Personal zerfleischen können? Am Tropf hängend untertauchen? Wenn auch nur unter ihrer Liege. Wieso es nicht möglich war, die Mutter bei der Tochter zu lassen? Als die beiden verstanden, dass man sie trennen würde, stand ich zwischen ihnen. Das Mädchen wirkte wächsern. Die Mutter weinte leise, um sie nicht zu erschrecken. Die Polizisten führten sie zügig hinaus.

Ich stellte mir vor, wie es mir gehen würde, wenn ich nicht wüsste, was mit meinem Kind geschehen könnte, wenn ich abgeschoben würde. Ob es ohne mich abgeschoben werden würde. Diese Szene war das Unerträglichste, das ich in Österreich seit langem erlebt habe. Das Zweitschlimmste aber war der Blick der Beamten auf die schmächtige Patientin: Dieser war verdinglichend. Da war kein leidender Mensch mehr. Da war eine bürokratisch mit Dienst nach Vorschrift zu bewältigende Aufgabe.

Es roch plötzlich nach 1938. Genauso hätte es begonnen. Man hätte gemacht, was vorgeschrieben war. Das Gesetz machte es möglich. "Wir können die Welt nicht retten", sagte einer. So jedenfalls bestimmt nicht. Nicht einmal im Kleinen.    (Julya Rabinowich, Album, DER STANDARD, 14./15.9.2013)