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Eiche und Stammbaum: Die Korkernte erstreckt sich über viele Generationen, weil derselbe Baum nur alle neun Jahre entrindet werden kann.

Foto: Corbis / Charles O'Rear

Anreise: Flug Wien-Faro zum Beispiel mit TAP Portugal via Lissabon.

Unterkunft: etwa das Hotel "Loulé Jardim" in Loulé, Doppelzimmer ab 62,50 € (www.loulejardimhotel.com).

Infos zur neuen Korkeichen-Route unter www.rotadacortica.pt

Grafik: DER STANDARD

Der alte Baum bekommt selten Besuch. Manchmal nur wandern ein paar Algarve-Urlauber mit Rucksäcken vorbei, ganz selten breiten sie ihre Decken unter ihm aus. Inzwischen nehmen sie meist andere Wege nach Tesoureiro, seit der Wind in einer stürmischen Sommernacht einen Wegweiser umgeworfen hat und Thymian und Rosmarin ihn überwuchern. Aber José Galego schaut ein-, zweimal im Jahr vorbei. Er braucht kein Hinweisschild, kommt seit Kindheitstagen, kennt den Baum, seit er denken kann. Er streicht dann fast zärtlich mit der rechten Hand über den Stamm, hält die Nase ganz nah an die schorfige Rinde, und für eine Sekunde sieht es so aus, als wollte der bald achtzigjährige Mann die knorrige Eiche küssen. Galego schaut den Stamm hinauf, schnuppert an anderen Stellen, streichelt wieder. Und macht sich am Ende eine Notiz.

Alle neun Jahre bringt er eine spezielle Schälaxt mit und einen Traktor mit Anhänger. Dann ist er zur Ernte da, nimmt seinem Baum und ein paar Dutzend anderen in dem Waldstück hier eine halbe Autostunde von Faro und der Algarve-Küste die Rinde ab. Er erntet den Kork - und achtet dabei genau darauf, die unterste Zellschicht nicht zu verletzten, damit alles wieder nachwächst und er möglichst lange und möglichst oft ernten kann. Und möglichst viel. 150 Jahre alt kann so ein Baum werden - und bis zu achtzehnmal geschält.

Hat Galego die Rinde abgetragen, klopft er den großen Baum zärtlich, als wären sie alte Kumpel, die sich jetzt länger aus den Augen verlieren werden. Er sprüht mit Farbe eine Jahreszahl auf den Stamm oberhalb der Erntegrenze - die 13 für 2013. Zur nächsten Ernte im Jahr 2022 wird jemand anderer kommen. Galego wäre dann fast 90.

Anders als ihre Väter

Die Wälder hier im Süden Portugals sind eher Haine als Dickicht, viele Korkeichen ganz gut zugänglich. Sie sind Nutzland, und die Bäume brauchen Freiraum, um reichlich Rinde zu entwickeln. Seit Jahrhunderten ernten Kleinbauern Kork und verkaufen das Rohmaterial an weiterverarbeitende Betriebe. 60 solcher Fabriken gab es noch vor zehn Jahren. Sechs sind es heute - weil die Nachfrage nach Kork rückläufig ist und immer mehr Winzer, anders als ihre Väter, Plastikkorken nicht mehr als Kulturbruch ansehen.

Was wird aus diesen Wäldern, wenn ihr Rohstoff nicht mehr gebraucht wird? Aus diesen grünen Bändern, die sich scheinbar endlos über sanfte Hügel spannen und zwischen denen manchmal eines dieser kleinen Dörfer mit den kopfsteingepflasterten Straßen, Greißlerei, Bar und manchmal Tankstelle kauert. Nichts, solange niemand das Land für etwas anderes braucht. Das wäre jedenfalls das Beste für das Gesicht dieser Gegend. Es würde ein Stück altes Portugal in eine neue Zeit hinüberretten.

Der Tourismus könnte dabei sogar dabei helfen. Gerade werden Wanderwege ausgeschildert, Bereiche unter Naturschutz gestellt und die touristische "Route des Korks" ins Leben gerufen. José Galego hat noch nie verstanden, warum all die Fremden von weither nicht viel zahlreicher ins Hinterland der Algarve strömen, die Süßigkeiten seiner Tochter in der Konditorei der Familie kaufen, den Honig vom Imker aus dem Nachbarort oder das kaltgepresste Olivenöl aus der Mühle zwei Orte weiter.

Manchmal sind Ameisen auf dem Stamm, wenn Galego seinen Lieblingsbaum besucht. Ab und zu turnen Bienen über die riesigen Distelblüten in der Nachbarschaft. Sie sind es, die mit ihrem Summen für die Akustik in den Korkeichenwäldern sorgen - und zusammen mit den Vögeln die Landschaft in so etwas wie ganzjährigen Sommer-Sound verpacken. Dabei ist der Baderummel an den Stränden der Algarve kaum 25 Kilometer entfernt und doch gefühlt eine halbe Welt.

Ob seine Familie diese Bäume gepflanzt und das Waldstück hinterm Haus angelegt hat? "Es sind hunderte Bäume, tausende vielleicht", murmelt Galego, lehnt sich an den Stamm und schließt die Augen. "Niemand hat sie gepflanzt, sie kommen von selbst, neulich erst wieder einer mitten im Garten."

Trocken gewogen

Tatsächlich sind die Wälder seit Jahrhunderten in Plantagen-Manier kultiviert - nicht angepflanzt, um das Holz eines Tages schlagen zu können, sondern vielmehr, um über möglichst lange Zeit hinweg immer wieder ihre Rinde zu ernten. Gut 50 Euro bekommt ein Bauer für 15 Kilo davon in guter Qualität. Doch gewogen wird erst zwanzig Tage nach Anlieferung. Bis dahin verliert die Rinde durch die Trocknung noch jeden Tag ein Prozent an Gewicht. Anschließend wird sie eine Stunde bei 100 Grad zur Desinfektion gekocht, dann gepresst, wieder getrocknet, zugeschnitten, weiterverarbeitet.

Auriliano André ist seit 55 Jahren in der Korkfabrik bei São Brás de Alportel beschäftigt, hat mit elf hier angefangen. Was ihn der Job gelehrt hat? "Viel", sagt er. "Zum Beispiel keinen Wein mit Plastikverschluss zu kaufen. Denn dem fehlt das Leben." Das sieht César Correia genauso. Ihm gehört die modernere Korkfabrik "Nova Cortica" ein paar Straßen weiter, er setzt auf Ideen seiner Tochter: Sie hat Regenschirme aus Kork entwickelt, verwendet das Material wie Leder, sogar Korkfußbälle gibt es nun.

Ob er als Fabrikant eine Beziehung zu den Bäumen hat? Er schaut kurz irritiert, antwortet dann: "O ja, nicht zu jedem zwar. Aber zu einem ganz besonders. Zu der Korkeiche, in deren Schatten ich erstmals meine künftige Frau geküsst habe. Heimlich, weil die Eltern noch nichts wissen sollten." Den Baum gibt es noch heute. Sie gehen an den Feiertagen mit ihren Kindern dorthin, nehmen Picknicksachen mit. Und manchmal kommen Fremde vorbei, die kurz grüßen: die ersten Wander-Urlauber auf Tour durch die Korkeichenwälder. (Helge Sobik, DER STANDARD, Rondo, 13.9.2013)