In den Donauauen hat sich der Strom trotz Regulierung wieder Platz gemacht. Auch Hirsche finden dort im Herbst ein ideales Brunftareal.

Foto: Kovacs

Hätte es vor bald dreißig Jahren keine Besetzung der Hainburger Au gegeben, würde uns an diesem Septemberabend kein historisches Holzschiff erwarten, das uns zu einer Insel in der Donau führen wird, um die dort ansässigen Rothirsche bei der Brunft zu belauschen. Bestenfalls könnten wir Elektroboot auf einem Stausee fahren und Enten füttern.

Vom bekannten "Uferhaus" in Orth geht es los. Dort liegt eine sogenannte Tschaike vor Anker, ein etwa 20 Meter langes Schiff, das vom Design ein bisschen an eine Galeere erinnert. Kurze Bretter können zwischen Bordwand und Mitte eingeklemmt werden und ergeben so Sitzbänke, zu denen jeweils ein Ruder gehört, das man durch die Seitenwand fädeln kann. Wir tuckern jedoch per Motor in die Donau hinaus und ein Stück stromaufwärts. Dabei wird rasch offensichtlich, dass wir uns hier auf einem regulierten Fluss befinden: Links und rechts werden die Ufer durch Anschüttungen großer, kantiger Steine befestigt. Dieser "Blockwurf" macht nicht nur aus ästhetischen Gründen wenig Freude: "Er bietet den heimischen Fischen keinen Unterschlupf", wie Carl Manzano, Direktor des Nationalparks Donauauen, ausführt, "und die Tiere, wie etwa die Rothirsche, kommen schlecht zum Wasser."

Dass die Donau trotz ihrer Regulierung im 19. Jahrhundert ein lebendiger Fluss ist, zeigt sich ein kurzes Stück weiter stromauf: Rechter Hand erstreckt sich eine idyllische Kiesbank, dahinter eine steile Lehmkante, die von großen Bäumen bewachsen ist. Dort, wo die Kiesbank auf die Lehmkante stößt, liegen massenhaft entwurzelte Weiden, die das Hochwasser im Frühsommer unterspült hat.

Bleiben sie liegen, treiben sie Wurzeln aus und wirken, wenn das Wasser höher steht als heute, als natürliche Uferbefestigung. Außerdem bieten sie dann zahlreichen Fischarten Unterschlupf, wie Tschaiken-Kapitän Martin Zöberl erklärt. Doch was ist mit dem Blockwurf passiert - wurde er hier entfernt? Dagegen spricht ein Haufen davon mehrere Meter im Inneren der Insel.

"Die Donau wurde hier auf 350 Meter Breite reguliert", klärt Manzano das Rätsel, "das ist so breit, dass es wieder zu natürlichen Veränderungen kommt." Dazu gehört das Auftreten von Prall- und Gleithängen, wo der Fluss eine Kurve macht: Der Prallhang ist das Ufer an der äußeren Seite der Kurve. Der Gleithang hingegen bezeichnet das kurveninnere Ufer, wo wegen der geringeren Strömung Material abgelagert wird - Kies und Sand haben die hässlichen Blöcke ganz einfach überlagert bzw. sich ihnen vorgelagert und sind nun Schauplatz einer natürlichen Abfolge von Vegetation.

Brunft macht schlank

Das sanfte Ufer ist der donauseitige Rand einer rund drei Kilometer langen Insel, die auf der anderen Seite von einem Altarm begrenzt wird und sich im Lauf weniger Jahrzehnte durch die Ablagerungstätigkeit der Donau gebildet hat. Offiziellen Namen hat sie keinen, aber Zöberl nennt sie die Paradeiser-Insel, weil er hier in ihren Anfängen wild wachsende Tomaten geerntet hat. Vor der Kleinen Binn, einem jetzt trocken liegenden Altarm, durch den bei höherem Wasserstand die Donau in die Insel strömt, ankern wir unter einer dünnen Mondsichel, orange gefärbten Wolkenrändern und geräuschlos über unseren Köpfen jagenden Fledermäusen.

Jacken werden zugeknöpft, Decken umgehängt - es ist schon empfindlich kühl auf dem Wasser. Beste Bedingungen für die Hirsche: "Wenn es sehr heiß ist, tun sie nichts", erklärt Zöberl. Kein Wunder, die Brunftzeit ist auch so anstrengend genug für die Hirsche. Innerhalb weniger Wochen verlieren sie dabei massiv Gewicht.

In den Donauauen beginnt die Brunft laut Volksmund mit "Kaisers Geburtstag", also dem 18. August, und endet gewöhnlich Mitte September. Zu dieser Zeit verlassen die geschlechtsreifen Hirsche ihre Männerrudel und begeben sich zu den Weibchen, die ihrerseits Rudel bilden, die gewöhnlich aus mehreren Müttern, deren Jungen und deren Jährlingen bestehen. Zu diesem Zweck, aber auch sonst, können die Hirsche beträchtliche Strecken wandern: bis zu 30 Kilometer in einer Nacht.

Besenderte Tiere

In einem kürzlich angelaufenen Projekt der Österreichischen Bundesforste mit der Nationalpark Gesellschaft und der Wiener Universität für Bodenkultur werden Hirsche mit Telemetrie-Sendern ausgerüstet, die Auskunft über ihr Wanderverhalten zu verschiedenen Tages- und Jahreszeiten sowie bei verschiedenen Witterungen, wie Hochwasser, geben sollen. Sechs Tiere sind bereits besendert, vier weitere sollen noch dazu kommen. Erste Daten werden frühestens nächstes Jahr erwartet.

Die Hirsche klären durch Imponiergehabe und Kämpfe, wer ein Weibchenrudel für sich beanspruchen darf. Im Zuge dessen stoßen sie charakteristische, weithin hörbare Rufe aus, das berühmte Röhren, das auch wir erleben wollen.

Zuerst aber hören wir allerhand anderes: einen Ausflugsdampfer, startende Flugzeuge, dann einen Schuss. Die Wälder vom gegenüberliegenden Fischamend gehören nicht zum Nationalpark, dort darf gejagt werden, und wird es vor allem jetzt zur Brunftzeit auch eifrig. Im Nationalpark selbst gibt es keine Trophäenjagd, es werden lediglich weibliche und junge Tiere zwecks Bestandsregulation geschossen.

Auch als es endlich still ist, lassen uns die Hirsche noch lange warten. Es ist bereits völlig dunkel, als endlich ein Geräusch wie ein tiefbrüstiges Husten ertönt, ein paar Mal hintereinander ausgestoßen, dann wie ein Echo aus einer anderen Ecke der Insel. Auch für uns Laien ist klar: Wir belauschen hier mindestens zwei Hirsche relativ tief im Inneren der Insel. Beim Zurückfahren zeigen sich die Männer an Bord ein bisschen enttäuscht über die mangelnde Lautstärke, aber die Damen wirken allesamt zufrieden - und um die geht es ja schließlich. (Susanne Strnadl, DER STANDARD, 11.9.2013)