Barack Obamas größtes Problem ist derzeit weder der syrische Diktator Bashar al-Assad, dessen russische Förderer oder die US-Verbündeten in Europa, die den Plänen für einen Militärschlag gegen Syrien immer noch skeptisch gegenüberstehen. Es sind der amerikanische Kongress und die öffentliche Meinung im eigenen Land.

Denn die große Mehrheit der Amerikaner lehnt eine militärische Verwicklung der USA in den Syrien-Konflikt vehement ab. Sie wollen nach Afghanistan und dem Irak keinen neuerlichen Krieg in der islamischen Welt und können den Argumenten ihres Präsidenten nicht folgen.

Es war vor allem dieser fehlende Rückhalt in der Bevölkerung, der Obama dazu brachte, den Kongress im Vorfeld um Zustimmung zu einer Militäraktion zu bitten - ein Schritt, der verfassungsrechtlich nicht notwendig ist und seit Jahrzehnten von amerikanischen Präsidenten nicht gesetzt wurde.

Keine Mehrheit im Kongress

Doch Obama hat sich verkalkuliert. Die Ablehnung im Kongress ist noch ausgeprägter als in der Bevölkerung. Eine Mehrheit im demokratisch dominierten Senat ist so unsicher, dass die Abstimmung nun verschoben wurde. Und im Repräsentantenhaus, wo die Republikaner die Mehrheit haben, ist die Zahl der Befürworter noch viel geringer.

Die intensive, einzigartige PR-Kampagne des Weißen Hauses in den vergangenen Tagen hat daran nichts geändert. Die demokratischen Abgeordneten wollen nicht mit einer neuerlichen Militäraktion assoziiert werden, die viele ihrer Wähler an die Zeiten der Bush-Präsidentschaft erinnern würde. Und die Republikaner sind geteilt: Der Tea-Party-Flügel neigt zunehmend zum Isolationismus, und die traditionellen Falken wollen Obama hier keinen außenpolitischen Erfolg gönnen, sondern freuen sich, wenn sich der verhasste Staatschef selbst überdribbelt.

Und parteiübergreifend fragen sich alle im Kongress, was ein kleiner, kurzer Raketenangriff auf einige syrische Ziele denn bringen soll. Selbst der republikanische Senator John McCain, der stärkste Befürworter eines Militärschlags im Kongress, fällt Obama täglich mehrmals in den Rücken, weil er dessen Vorgangsweise für viel zu schwach hält. Andere wiederum fürchten, sollte die Intervention erfolgreich sein, eine Machtergreifung durch radikale Islamisten und Al-Kaida in Syrien.

Russland nimmt den Wind aus den Segeln

Die Entwicklungen der vergangenen zwei Tage haben Obamas Position weiter geschwächt. Der Plan, mit einer Vielzahl von TV-Interviews und einer Rede an die Nation die Öffentlichkeit auf einen Militärschlag einzustimmen, funktioniert nicht mehr, seit sein eigener Außenminister John Kerry eine Alternative ins Spiel gebracht hat - dass Assad seine Chemiewaffen aufgibt beziehungsweise unter internationale Kontrolle stellt. Die taktisch kluge russische Reaktion darauf nimmt Obama den gesamten Wind aus den Segeln. Was ist denn nun seine Botschaft an die Amerikaner, wenn aus Damaskus Zeichen des Einlenkens kommen?

Obama hat nicht so unrecht, wenn er in einem Interview sagt, dass diese Bewegung nur aufgrund der militärischen Drohkulisse möglich war. Aber der logische Schluss - dass diese Drohkulisse nun aufrechterhalten werden muss - ist einer skeptischen Öffentlichkeit noch viel schwerer zu vermitteln als eine klare Aufforderung zum Angriff.

Ein starker Präsident sollte dennoch in der Lage sein, den Kongress zu überzeugen, dass er ein militärisches Mandat jetzt benötigt, um alle diplomatischen Mittel ausschöpfen zu können. Denn wenn Assad keinen Grund zum Fürchten hat, dann wird er nichts hergeben, was ihm im Kampf gegen die Rebellen nützen kann.

Böse Erinnerung an Irak

Doch selbst dieses Argument dürfte nicht funktionieren: Eine solche Vollmacht erinnert fatal an die Senatsresolution vom Oktober 2002, auf deren Grundlage George W. Bush einige Monate später in den Irak einmarschierte.

Und das Vertrauen, dass Obama und Kerry eine solche Vollmacht wirklich so einsetzen können, dass am Ende Assad geschwächt ist, ohne dass sich die USA vollends in den Konflikt verstricken, sinkt von Tag zu Tag.

Wie Obama und sein außenpolitisches Team aus diesem Schlamassel noch halbwegs unbeschadet aussteigen können, steht in den Sternen. Dass die russische Initiative in Bezug auf Assads Chemiewaffen etwas bringen wird, glauben nur wenige. Aber es ist wohl der letzte Strohhalm, mit dem Obama derzeit eine katastrophale Abstimmungsniederlage im Kongress vermeiden kann, die ihn auch in den kommenden innenpolitischen Schlachten um Einwanderung, Budget und die Gesundheitsreform dramatisch schwächen würde. (Eric Frey, derStandard.at, 10.9.2013)