Ulm - Mehr als jeder zehnte Erwachsene weltweit lebt mit einer chronischen Nierenerkrankung. Dieses Leiden gilt nicht nur als Risikofaktor für eine vorzeitige Sterblichkeit oder eine Ersatztherapie durch Dialyse und Transplantation, sondern scheint auch Herz-Kreislauferkrankungen und Diabetes zu begünstigen. Allerdings ist die bisher gängige Bestimmung der Nierenfunktion über den so genannten Kreatinin-Wert im Serum unbefriedigend. Wissenschaftler des "Chronic Kidney Disease Prognosis-Consortium" haben nun gezeigt, dass der Biomarker Cystatin C alleine oder in Kombination mit dem Kreatinin-Wert die Diagnostik verbessern kann.

Chronische Nierenerkrankungen betreffen vor allem ältere Menschen. Gerade in dieser Risikogruppe ist das gängige Kreatinin-basierte Schätzverfahren wenig zuverlässig, wird der Biomarker doch von Alter, Geschlecht und Muskelmasse beeinflusst. Nun hat internationale Forschergruppe in einer Metaanalyse untersucht, ob der Biomarker Cystatin C die Diagnostik chronischer Nierenerkrankungen optimieren könnte.

Einteilung in Krankheitsstadien

Die Wissenschaftler berücksichtigten elf repräsentative Studien mit mehr als 90 000 US-Amerikanern, Europäern und Australiern. Weiterhin werteten sie Daten fast 3000 nierenkranker Frauen und Männer aus. "Konkret haben wir den Zusammenhang von Kreatinin- und Cystatin C-Werten der Patienten einzeln und in Kombination mit dem Risiko der allgemeinen Sterblichkeit in den Kohorten, dem Risiko des Todes nach Herz-Kreislauf Erkrankungen und dem Risiko für eine Nierenkrankheit im Endstadium untersucht", erklärt Dietrich Rothenbacher, Leiter des Ulmer Instituts für Epidemiologie und Medizinische Biometrie. Zum weiteren Vergleich teilten die Forscher Patienten in Krankheitsstadien ein – entweder aufgrund ihres Kreatinin- oder Cystatin C-Wertes.

Die Datenauswertung liefert eindeutige Ergebnisse: Insgesamt ließen sich Nierenfunktionsstörungen mit dem Marker Cystatin C wesentlich genauer und zudem früher nachweisen — teilweise zehn oder zwanzig Jahre bevor der Kreatinin-Grenzwert überschritten wurde. Cystatin C ist zudem unabhängig von Faktoren wie Alter oder Muskelmasse und ermöglicht eine präzisere Einteilung in Krankheitsstadien – das ist für die Therapie und die Einschätzung von Risiken bedeutsam.

"Dies könnte der Anfang eines Paradigmenwechsels sein", sagt Wolfgang Koenig von der Universitätsklinik für Innere Medizin II/Kardiologie. Zwar werde es noch eine Weile dauern, bis die neuen Erkenntnisse Eingang in die Praxis fänden. Dann könnten Risikopatienten jedoch einfacher identifiziert und Folgeerkrankungen vermieden werden. (red, derStandard.at, 9.9.2013)