Omar Robert Hamilton

Foto: O. R. Hamilton

Pepe Egger sprach mit ihm über die Revolution als Schule des Filmens.

Standard: Was waren Sie zuerst? Politischer Aktivist, Filmemacher, Kurator eines Literaturfestivals?

Hamilton: Eigentlich wollte ich immer schon Filmemacher werden. Und im Grunde hat beides zeitgleich begonnen: Im Jahr 2008 habe ich meinen ersten Film, den Kurzfilm Maydoum, gedreht, und 2008 haben wir mit PalFest (einem alljährlich stattfindenden Literaturfestival in Palästina, Anm.) begonnen. Vollends zum Politaktivisten wurde ich aber erst durch die ägyptische Revolution.

Standard: "Maydoum" war auch ein Film darüber, was es heißt, Ägypter zu sein, aber zugleich  nicht wirklich dazuzugehören?

Hamilton: Ich bin Halbägypter und hatte immer schon eine enge Verbindung zum Land. Aber zugleich hatte ich Probleme, in Ägypten zu arbeiten, ich fand mich nicht zurecht. Ich bin in London auf­gewachsen und konnte mir nie vorstellen, ganz in Kairo zu leben. Erst mit der ägyptischen Revo­lution hat sich der Mittelpunkt meines Lebens und meiner
Arbeit vollends nach Ägypten verlagert.

Standard: Wie hat die Revolution Ihr Verhältnis zum Filmemachen verändert?

Hamilton: Vorher hat mich der Dokumentarfilm überhaupt nicht interessiert. Im Grunde habe ich erst inmitten der Revolution zu filmen gelernt. Gelernt, wie man eine Kamera hält, wie man dreht, während man sich in der Mitte des Geschehens befindet. Das habe ich vorher noch nie gemacht. Man lernt, sehr schnell zu filmen, zu schneiden, es ist eine völlig andere Art des Filmemachens.

Standard: Nach dem Sturz Mubaraks haben Sie das Videokollektiv Mosireen (Die Entschlossenen) mitbegründet, um Gegenöffentlichkeit mit journalistischen Mitteln herzustellen. Mosireen produziert und verbreitet Videos, organisiert Workshops und Vorführungen im öffentlichen Raum.

Hamilton: Während der Revolution haben alle möglichen Leute alles Mögliche gefilmt, aber es gab keine organisierte Form der Produktion oder Präsentation. Im Februar 2011, als die Armee zum ersten Mal nach dem Sturz Mubaraks den Tahrir-Platz räumen ließ, entstand Mosireen, als Archiv und Sammelstelle für eine Flut von Videos und als kollektiver Arbeitsraum. Wir filmten, wir stellten unsere Videos als Downloads zur Verfügung, wir organisierten das Tahrir Cinema, um Videos und Filme zu zeigen, die es im Fernsehen nicht zu sehen gab. Das entwickelte sich dann zu Kazeboon (arab., "Sie sind Lügner"; Anm.), im Zuge dessen in ganz Ägypten öffentliche Straßenvorführungen von Videos als Kritik an der Armeeführung stattfanden.

Standard: 100 Einzelpersonen finanzierten Ihren Low-Budget- Kurzspielfilm "Though I Know the River Is Dry" über einen Palästina-Heimkehrer, den es zufällig in die USA verschlagen hatte.

Hamilton: Vor der Revolution brauchte ich einen Kameramann, jemanden für den Schnitt, für die Beleuchtung und so weiter. Als ich Though I Know the River Is Dry in Palästina drehte, haben wir mit einer sehr kleinen Crew gearbeitet, ich selbst führte die Kamera. Allein die Vorstellung der langsamen und aufwändigen Arbeit des traditionellen Films mit Beleuchtung und unzähligen Takes und Wiederholungen schien uns einfach nur noch lächerlich.

Standard: Das sieht man auch dem Film an. Alles ist in Bewegung, als sei jemand hinter euch her.

Hamilton: Wir haben diesen Film an 16 Drehorten in vier Tagen gedreht, alles im Stehen, ohne Stativ, in Bewegung, fast so, als würden wir eine Dokumentation machen, nahezu ohne zusätzliche Beleuchtung. Die Revolution hat meine Idee davon, wie viel Zeugs und Material man an einem Filmset braucht, grundlegend ver­ändert.

Standard: Wie positionieren Sie sich zur Absetzung des gewählten Präsidenten Morsi durch die Armee?

Hamilton: Wir sind seit Morsis Sturz politisch in einer völlig festgefahrenen Lage. Niemand weiß genau, was zu tun ist. Im Augenblick bekriegen sich Armee und Muslimbrüder; von uns will niemand rausgehen und filmen, weil wir uns weder von der Armee noch von den Muslimbrüdern erschießen lassen wollen. Was immer man derzeit tut, wird von einer Seite gegen die andere eingesetzt. Wir erleben, dass unsere alten, gegen die Armee gerichteten Videos von den Muslimbrüdern verwendet werden, während unsere die Muslimbrüder kritisierenden Videos im Staatsfernsehen gezeigt werden. Mit einem Wort, wir wissen überhaupt nicht, wie wir derzeit politisch wirksam sein können.

Standard: Ist ein dritter Standpunkt jenseits der Dichotomie Armee – Muslimbrüder möglich?

Hamilton: Die Frage ist, wie so ein Standpunkt artikuliert werden könnte, ohne dass er von der einen oder der anderen Seite instrumentalisiert wird.

Standard: Wie kann sich die politische Entwicklung aus der Umklammerung der Armee wieder befreien?

Hamilton: Derzeit ist der Raum für politischen Aktivismus verschlossen. Aber ich glaube, dass sich das bald ändern wird. Schon deshalb, weil die Armee die gleichen Fehler wie der Militärrat vor zwei Jahren macht: Sie drückt eine Verfassung durch, die alle Ziele und Inhalte der Revolution völlig beiseitelässt. Es ist so schockierend, dass es einfach nicht von Dauer sein kann.