Mit transkranieller Magnetstimulation und Übungen konnten Bewegungsfähigkeit und Wortfindungsstörungen bei Menschen nach einem Schlaganfall verbessert werden.

Foto: Arno Villringer

Der Neurowissenschafter Arno Villringer vom Max-Planck-Institut über Tests, Messverfahren und zukünftige Therapien.

STANDARD: Lässt sich Balance durch Gehirntraining verbessern?

Villringer: Ja, in wenigen Wochen. Lange Zeit dachten wir, dass im Gehirn nur während der Entwicklung im Mutterleib neue Verbindungen zwischen Nervenzellen entstehen und Nervenzellen neu wachsen. Das Gehirn wird aber während der gesamten Lebenszeit umgebaut. Neuronale Plastizität nennen wir das. Dabei verändern sich jene Hirnregionen, die intensiv genutzt werden.

STANDARD: Also so wie Muskeln?

Villringer: Ich würde es eher mit der Hardware eines PCs vergleichen. Wer viel schreibt, hat eine sinnbildlich vergrößerte Tastatur, bei einem Grafiker wären es Bildschirm und Maus. Das Gehirn wächst mit seinen Aufgaben. Wir haben mit Probanden Tests gemacht, bei denen sie zwischen mehreren Objekten auf einem Computerbildschirm hin- und hernavigieren mussten, ohne über das Ziel hinauszuschießen. Bereits nach sechs halbstündigen Trainingseinheiten waren die Probanden schneller. Sie wurden aber zusätzlich mit transkranieller Nervenstimulation noch besser.

STANDARD: Wie funktioniert das genau?

Villringer: Das Gerät sieht aus wie ein Duschschlauch. Den "Duschkopf" halten wir über den Kopf der Probanden und reizen so Nervenzellen in der motorischen Hirnrinde. Die Zellen geben Bewegungsbefehle an Hand- und Fingermuskeln weiter. Wir waren begeistert: Die Teilnehmer wurden noch schneller und genauer.

STANDARD: Wächst damit auch die graue Masse, also die Menge der Nervenzellkörper?

Villringer: Das prüfen wir in einem anderen Experiment. Die Probanden sollten den Daumen abspreizen und gleichzeitig den Deltamuskel am Oberarm anspannen. In der Kernspintomografie konnten wir sehen, dass mehr graue Substanz in der motorischen Hirnrinde entsteht. Dabei konnten wir dem Hirn beim Lernen zusehen: Schon nach einer Stunde tauchten die ersten Veränderungen auf. Leider wissen wir nicht, was genau mit den einzelnen Hirnzellen passiert, dafür müsste die Auflösung des Kernspintomografen eine Million Mal größer sein. Vermutlich bilden die Nervenzellen neue Synapsen und die Zellkörper der Nervenzellen wachsen. Diese Veränderungen wollten wir auch in anderen Hirnregionen nachweisen.

STANDARD: Könnte man das für die Therapie von Krankheiten nutzen?

Villringer: Ja, zum Beispiel bei Parkinson. Denn dabei können die Betroffenen ihren Körper nicht mehr stabil aufrecht halten und drohen ständig das Gleichgewicht zu verlieren. Am Anfang konnten unsere Patienten nur acht Sekunden das Gleichgewicht halten, nach sechs Wochen etwa 13. Am Ende des Trainings balancierten sie sogar länger als gesunde, untrainierte Altersgenossen. Mit transkranieller Magnetstimulation und Übungen konnten wir auch die Bewegungsfähigkeit und Wortfindungsstörungen bei Menschen nach einem Schlaganfall verbessern. Durch das Training übernehmen andere Hirnbereiche schneller die Aufgaben der abgestorbenen Nervenzellen.

STANDARD: Kann man das Hirn nicht auch mit Medikamenten trainieren?

Villringer: Es gibt erste Studien. Bis daraus aber Therapien entstehen, dauert es noch. Wir wissen überhaupt noch nicht, welche Patienten profitieren und welche Nebenwirkungen auftreten. (Felicitas Witte, DER STANDARD, 9.9.2013)