Österreichs 4-4-1-1 ging mit Zlatko Junuzovic eine kreative Laufmaschine und der Lenker im Pressingspiel ab. Deutschland kompensierte seine Ausfälle ohne Qualitätsverlust. Das formale 4-2-3-1 von Joachim Löws Elf wurde im seltenen Rückwärtsgang zu einem 4-4-2.

Grafik: ballverliebt.eu

Im Vorwärtsgang rückten hingegen die beiden Außenverteidiger immer wieder sehr weit auf und halfen damit, Österreich zu überrennen. Österreich kam phasenweise kaum aus dem eigenen Strafraum heraus.

Screenshot: ATV

Und bei diesem Mittel der Deutschen wirkte sich diese Überzahl immer wieder aus. Mehrere Spieler banden Verteidiger an sich, wenn ein Mittelfeldspieler auf die Abwehr zu lief, der irgendwann den giftigen Steilpass in die Tiefe spielte. Robert Almers großartige Paraden vereitelten diesem Instrument großteils den Erfolg.

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Beim 1:0 konnte Almer nichts machen, wie allgemein kein schwerer taktischer Fehler feststellbar war. Pogatetz hätte mit einer etwas tieferen Stellung den Querpass möglicherweise verhindern können.

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Geahnt hat es insgeheim hoffentlich jeder noch so vorlaute Fan. Dass nämlich gegen Deutschland in Deutschland nichts anderes als eine Niederlage zu erwarten ist. Natürlich. Das Spiel ist Fußball. Es gibt ein Zufallselement, auf das sich immer hoffen lässt. Und sicher: Österreich ist neben Belgien, wie die Süddeutsche Zeitung vor dem Spiel in München anmerkte, eines der interessantesten aufstrebenden Mittelklasseteams in Europa. Auch das macht Hoffnung. Aber am Ende der Vorberichterstattung bleiben zwei Aufstellungen mit je elf Namen und die Kräfteverhältnisse sind bei aller Hoffnung klar.

Diese elf Namen auf deutscher Seite und Coach Jogi Löw haben Österreich am Freitag nicht den Gefallen getan, überheblich oder schlecht vorbereitet in das WM-Qualifikationsspiel zu gehen. Das deutsche 4-2-3-1 musste fast ein komplettes Weltklassemittelfeld vorgeben, weshalb ein zweites Weltklassemittelfeld in die Aufstellung nachrückte. Wer die Ausfälle von Mario Götze, Bastian Schweinsteiger (Bayern), Ilkay Gündogan (Dortmund), Lukas Podolski (Arsenal) mit Namen wie Mesut Özil (Arsenal), Marco Reus (Dortmund),Toni Kroos, Thomas Müller (Bayern) und Sami Khedira (Real Madrid) ersetzen kann, hat keine Personalsorgen, sondern Luxusprobleme.

Wenn auf der anderen Seite hingegen Julian Baumgartlinger (Mainz) und Zlatko Junuzovic (Werder) ausfallen, sind die Alternativen im Zentrum bereits dünn gesäht. Gar nicht deshalb, weil mit Andreas Weimann (Aston Villa) und Veli Kavlak (Besiktas) schlechte Spieler nachrücken würden. Wohl aber, weil die taktische Flexibilität der österreichischen Mannschaft darunter leidet. Und so musste Marcel Koller sein 4-4-1-1 ohne den Pressing-Chef und defensiv geschulten Junuzovic und stattdessen mit dem begnadeten Konterstürmer Weimann aufs Feld schicken. Zudem hatte der Schweizer während der 90 Minuten Spielzeit auch keine echte Alternative um David Alaba mit einer Umstellung von seinen defensiven Aufgaben zu erlösen.

DFB-Schlinge um ÖFB-Zentrum

Stattdessen war der Münchner Jungstar im ÖFB-Team dort, wo die Deutschen ihn haben wollten. Als einer von zwei Sechsern vor der österreichischen Abwehr. Stets umrundet von vier bis fünf Gastgebern. Gegen den Ball spielte Deutschland ein 4-4-2, wobei Klose und Özil vor allem die Passwege auf Kavlak und Alaba zustellten. Bekamen diese doch einmal den Ball, zog Deutschland die Schlinge zu und überfiel das Duo binnen Sekundenbruchteilen mit zwei oder drei Mann.

Sowohl der Spielaufbau als auch das giftige österreichische Umschaltspiel, das den Deutschen in Wien Probleme bereitete, wurde damit unterbunden. Die hohen Abschläge funktionierten als Überbrückungsmittel diesmal nicht. Einerseits weil der große Marc Janko nicht fit für die erste Mannschaft war (und eine konterstarke Sturmspitze wie Martin Harnik auch konzeptionell mehr Sinn ergab), andererseits weil die Präzision fehlte. Und selbst wenn Harnik ein Kopfballduell mit Per Mertesacker gewann, war die Distanz von ihm zur Mittelfeldachse oft zu groß, um eine schnelle Weiterleitung zu ermöglichen.

Breites Deutschland

Das hatte natürlich seine Gründe. Marko Arnautovic und Andreas Ivanschitz mussten - defensiv diszipliniert - ihren unmittelbaren Gegenspielern weit zurück folgen.  Löw ließ seine beiden Außenverteidiger weit aufrücken und hatte so regelmäßig sechs Offensivspieler breit im österreichischen Angriffsdrittel verteilt. Nach zehn Minuten, in denen die Österreicher hoch standen, früh attackierten und die Deutschen damit wohl etwas überraschten, bekam das DFB-Team das Spiel so in den Griff und entwickelte eine klare Feldüberlegenheit. Vor allem über Philipp Lahms rechte Seite bohrten die Deutschen gewohntermaßen den Gegner an. Christian Fuchs hätte damit selbst an seinen besten Tagen Schwierigkeiten gehabt - mit zwei haarsträubenden aber folgelosen Fehlpässen bewies der Schalker, dass er keinen davon erwischt hatte.

Deutschlands Breite stellte Österreich vor Schwierigkeiten. Die Mannschaft verschob ihre Viererketten recht eng gegen den Ballführenden, war dann gegen schnelle Spielverlagerungen aber anfällig für die ein oder andere Unsortiertheit. Schlussendlich leistete vor allem die Innenverteidigung aber meist gute Arbeit, denn für die Dominanz, die Deutschland vermittelte, hielten sich die tatsächlichen Torchancen einigermaßen in Grenzen. Miroslav Klose (11.) und Özil vergaben nach den Fuchs-Fehlern (24.). Die ersten wirklich selbst herausgespielten Möglichkeiten hatten Khedira mit einem Schuss von der Strafraumgrenze (10.) und Reus bzw. Klose (28.). 

Zwanzig Minuten Powerplay

Vor allem die letztgenannte Chance entspricht einem gewohnten Muster der Deutschen. Mehrere Angreifer binden gegnerische Verteidiger und lauern auf den Steilpass in den Strafraum. Findet dahinter ein Spieler zwischen Mittelfeld und Abwehr etwas zu viel Platz, geht die Post ab. Da Almer aber nicht nur in der 28. Minute sondern auch in der 35. gegen Klose auf seinem Posten war, war die einzige fruchtbare Aktion dieser Art erst das 3:0 durch Müller nach einem zum Zungeschnalzen schönen Zuckerpass von Kroos (86.).

Die Phase zwischen der 10. und 35. Minute war die beste und furchteinflößendste der Deutschen, in der man den Klassenunterschied deutlich sah. Es war beeindruckend, wie sie in der österreichischen Hälfte in Ballnähe immer wieder Überzahl herstellten und die Gäste in ihrem Strafraum einschnürten. Es war wohl auch nicht ganz egal, dass Kavlak für insgesamt sechs Minuten wegen eines nicht-bestraften Ellbogenfouls von Kroos abseits des Platzes behandelt werden musste (in der zweiten Hälfte nochmal drei Minuten). 

Deutschland lässt nach 1:0 nach

Beim 1:0 war er wieder am Platz und auch mit der deutschen Dominanz hatte der Treffer gar nicht viel zu tun. Österreich stand in der Situation eigentlich gut und Deutschland hatte wenige Spieler im Angriffsdrittel. Aber Emanuel Pogatetz gelang es nicht, einen hervorragenden Querpass von Müller zu blocken, Aleksandar Dragovic war an Ball und Gegner zwar dran, hatte im Zweikampf mit Klose aber schlicht Pech und Almer keine Chance (33.). Ein Tor, das die individuelle Klasse der Gastgeber zeigte. Eines, das immer passieren kann. Eines, das man an einem perfekten Tag vielleicht nicht bekommt. Eines, das dem Spielverlauf aber höchst angemessen war.

Wenig später brachen die Deutschen ihre Belagerung des österreichischen Strafraums ab. Als der Druck nachließ folgten die besten 15 Minuten der Gäste. Eine Kombination über das gesamte Feld läutete sie ein (39.). Arnautovic eröffnete hinten den Angriff, kam nach einer schnellen Spielverlagerung von Kavlak und einem Steilpass von Alaba ganz vorne aber ein bisschen zu kurz gegen den stets hellwachen Hobbylibero Manuel Neuer. Der entschärfte Sekunden später auch einen Alaba-Weitschuss (40.) und kurz vor dem Seitenwechsel einen eher notdürftigen Versuch von Dragovic (45+1.).

Um mit dem 2:0 alles klar zu machen

Der farblose und möglicherweise angeschlagene DFB-Linksverteidiger Marcel Schmelzer (BVB) blieb in der Kabine, Benedikt Höwedes kam für ihn. Nach dem Seitenwechsel setzte Österreich den Aufwärtstrend fort, nahm etwas mehr Risiko. Kurz nach Wiederbeginn stoppte Kavlak einen deutschen Pass, Alaba machte mit dem Ball einige Meter und legte perfekt für Weimann vor. Bedrängt von zwei Verteidigern wurde für den der Winkel etwas zu spitz und er schoss über das Tor (46.). Kurz darauf schickte Dragovic mit einem Pass auf die Flanke Harnik auf die Reise, Kavlak verzog daraufhin von der Strafraumgrenze (48.). Einige weitere Ansätze für Angriffe blieben in der deutschen Abwehr (übrigens ohne den spielstarken Mats Hummels) hängen.

Gerade als man leise Hoffnung schöpfte, luchsten die Deutschen mitten im österreichischen Umschaltmoment Harnik einen Ball ab. Es folgte eine Flanke, der ansonsten hervorragende Dragovic konnte nicht entscheidend klären und Kroos gelang ein fantastischer Tausendguldenschuss aus 25 Metern per Innenstange zum 2:0 (52.). Zum zweiten Mal führte ausgerechnet eine Situation zum Tor, der kein zwingender deutscher Angriff vorauseilte. Es war wieder so ein Tor, gegen das sich wenig machen lässt.

Waffenstillstand mit gelegentlichen Geplänkeln

Die Deutschen hatten wenige Sekunden später eine weitere tolle Möglichkeit. Almer verwehrte Müller nach Reus-Gustostückerl vorerst seinen Treffer (55.). Mit einigen Standardsituationen drückte Deutschland noch einmal kurz an. Für ein paar Minuten hielten die Österreicher auch noch dagegen. Nach Kavlaks verzogenem Weitschuss in der 57. Minute schienen sich aber beide mit dem Ergebnis abzufinden.

Es war klar, dass Österreich langsam an das wichtigere Spiel gegen Irland zu denken begann und Deutschland Gnade walten ließ. Hätte die DFB-Elf müssen, sie hätte jederzeit noch zwei Gänge höher schalten können. So aber plätscherte das Spiel über weite Teile der zweiten Hälfte vor sich hin. Als Marcel Koller mit Marcel Sabitzer und Guido Burgstaller (für Arnautovic und Andreas Ivanschitz. 67.) zwei Bundesligaspieler brachte, kam noch einmal etwas Schwung in die Bude. Aber weder Sabitzer (69.), noch Harnik (70.) vermochten die letzten Möglichkeiten der Gäste zu nutzen. Almer durfte noch zweimal Müller ärgern (72.), ehe der sich sein angesprochenes Tor im Endstadium der Machtdemonstration abholte.

Fazit: Bonuspunkte außer Reichweite

Ersatzgeschwächt und trotz starkem Keeper in den entscheidenden Momenten ohne Glück - so kann ein klar unterlegenes Team wie Österreich in Deutschland nichts holen. Was man groß anders machen hätte sollen, ist angesichts der erdrückenden Dominanz Deutschlands in allen Belangen schwer zu sagen. Der Unterschied zwischen einer aufstrebenden Mannschaft und einem etablierten WM-Titelanwärter muss am Ende einfach anerkannt werden. Die gute Nachricht ist: Es gibt nur ein oder zwei Handvoll Teams auf diesem Planeten, die so einen Fußball spielen können. Irland und Schweden gehören nicht dazu. Österreich steht immer noch ein wichtiges Quali-Finish bevor, bei dem es die realistischen Erwartungen immer noch übertreffen kann. (Tom Schaffer, derStandard.at, 7.9.2013)