Adele Neuhauser und Murathan Muslu im "Tatort".

Fotos: ORF

STANDARD: Der "Tatort" hält unbequeme Fakten parat: 6000 Prostituierte in Wien, nur 1500 sind legal, sechs Beamte sind bei der Polizei zuständig. Hatten Sie Kontakt?

Derflinger: Adele Neuhauser und ich waren in der Abteilung, und da saß tatsächlich eine einzige diensthabende Beamtin. Vollkommener Irrsinn. Sie hatte übrigens etwas von Bibi Fellner, etwas Unbeugsames ...

STANDARD:  Die Wahrheit ist wahrscheinlich schlimmer als alles, was man im Film zeigen darf. Wie ging es Ihnen beim Drehen?

Derflinger: Beim Recherchieren und Drehen nimmt es mich nicht so her. Ohne dieses Wollen, einen Film zu machen, würde ich das, was ich bei Recherchen sehe und höre, nicht ertragen.

STANDARD: Was haben Sie gesehen?

Derflinger: Mit der Kamerafrau Christine Maier war ich am Gürtel in diesen Laufhäusern. Wir wollten uns die verschiedenen Zimmer anschauen, um uns ein Bild von der Einrichtung zu machen. Wir kamen unangemeldet, und es war überhaupt kein Problem. Die Bodyguards klopften an die Türen, plötzlich öffneten drei Frauen in Unterwäsche, die natürlich absolut peinlich berührt waren, dass da jetzt Frauen vor ihnen stehen. Wenn du siehst, dass diese Frauen im gleichen Raum wohnen, wo sie arbeiten, das sind schon Momente ...

STANDARD: Die Zuhälter waren kooperativ?

Derflinger: Immer. Es gibt ein Naheverhältnis zwischen Prostitution und Film. Film spielt oft in dem Milieu, meist natürlich unter glamouröseren Vorstellungen. Umgekehrt gibt es vonseiten der Zuhälter den Wunsch, dass die Schattenwelt ans Licht kommt.

STANDARD: Im "Tatort" ist das Gewerbe fest in ausländischer Hand?

Derflinger: Seit die Gürtelkönige weg sind, haben Tschetschenen das Sagen. Die Form der Prostitution, die für türkische Gastarbeiter da ist, wird von den türkischen Bulgaren betrieben. Meistens sind das ungarische Mädchen, aber auch viele Roma-Frauen. Es gibt ganze Dörfer, in denen Frauen diesen Beruf ausüben, weil die Bedingungen dieser frauenunterdrückerischen Kultur sich so gut dafür eignen. Dazu kommt das Preisdumping. Wenn Sex so billig sein soll, können die Leute, die ihn verkaufen, nur unter schlechten Bedingungen arbeiten. Für Männer ist es leider immer noch toll, Frauen zu kaufen. Solange sich das nicht ändert, auch in hohen Kreisen, wird die Nachfrage immer viel größer sein als das Angebot.

STANDARD: Kann man mit Film etwas bewirken?

Derflinger: Der Tatort erreicht um 20.15 Uhr eine Menge Zuschauer. Ich habe Martin Ambrosch gebeten, dass er mir die Geschichte genau so schreibt, weil ich wollte, dass man mit der Bibi fühlen kann, was es bedeutet, in dieser Realität zu leben, und was Gewalt gegen Frauen wirklich bedeutet. Das kann ein Film leisten.

STANDARD: Die brutalen Verbrecher sind Ausländer. Fürchten Sie nicht die Gefahr der Instrumentalisierung vonseiten der rechtschaffenen Bürger?

Derflinger: Wir haben das diskutiert, und wenn ich die FPÖ-Wahlplakate hernehme: Ich weise darauf hin, dass es in Wien Frauen gibt, die werden gehalten wie die Viecher, die werden misshandelt, missbraucht, vergewaltigt, und die leben neben uns, und es ist uns völlig egal, weil sie eben nicht von hier sind. Abgesehen davon könnte ich genauso gut einen Film machen über Zwangsprostitution in der Klasse der "Rechtschaffenen". Ich weiß, welche Präsidenten nach Österreich kommen und wo sie hingeführt werden, damit sie Mädels empfangen. Ich weiß es auch aus meinem unmittelbaren Umfeld. Was ich bei internationalen Festivals erlebt habe, wo ich die einzige Frau in einer Männerrunde bin und die Frauen bestellt werden und ich nicht weiß, was ich tun soll. Männer in allen Schichten, links, rechts, Ausländer, Inländer kaufen Frauen.

STANDARD: Am Ende wird es reichlich brutal. War das notwendig?

Derflinger: Ich finde schon. Am Anfang bekommen wir erzählt, was diesen Frauen angetan wird, am Ende können wir nicht aus, wir müssen hinschauen, eben weil wir sonst wegschauen. Durch die Gewalt verliert der Zuhälter auch jeglichen Glamour, spätestens dann ist klar: Wenn es hart auf hart geht, bleibt nichts anderes über als das bloße Arschloch.

STANDARD: Bei diesem "Tatort" sind die Verantwortlichen fast nur Frauen. War das anders?

Derflinger: Es ist uns passiert, und es war cool. Es kann mit Frauen Zickenkriege geben, das gibt es, aber bei uns nie. Die Kommunikation war so einfach. Männer sind stärker gewohnt, auf ihre Position zu schauen.

STANDARD: Demnächst gibt's einen deutschen "Tatort" von Ihnen. Wo sind die Unterschiede in der Regie?

Derflinger: Der Kieler Tatort ist atmosphärisch leichter, er hat etwas Kühles, Elegantes. Es ist ein großes Team, und die Deutschen haben Wohnmobile für alle. Ich war ständig am Suchen, weil die Schauspieler in irgendwelchen Wohnmobilen waren. Daran musste ich mich gewöhnen. (Doris Priesching, DER STANDARD, 7.9.2013)