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Fukushima: Japan bekommt weder Kommunikation noch Kontamination in den Griff.

Foto: REUTERS/Kyodo

Die christlich geprägte europäische Kultur ist eine "Kultur der Schuld", die japanische Kultur hingegen eine "Kultur der Schande, der Scham". Diese These der amerikanischen Soziologin und Anthropologin Ruth Benedict (Die Chrysantheme und das Schwert, 1944) ist umstritten, aber sie kommt einem in den Sinn, wenn man das Verhalten der japanischen Politiker, Behörden und AKW-Betreiber im Fall Fukushima betrachtet.

Von Anfang an wurde diese Atomkatastrophe mit Vertuschung, Bagatellisierung und Verzögerung von Informationen "behandelt". Auch jetzt wieder, da schwer verstrahltes Wasser austritt und den Pazifik kontaminiert. In Japan wiegt nach dieser Kulturtheorie die Schande, der Gesichtsverlust, schwerer als die Schuld, und deshalb kann man das Offensichtliche nicht oder nur schwer, zu spät und völlig ungenügend zugeben.

Demokratische Kontrolle inexistent

Auch in der Sowjetunion wurde Tschernobyl erst Tage später zugegeben. Hier war es die Unmöglichkeit, das monströse Versagen eines angeblich perfekten Gesellschaftssystems einzugestehen. Demokratische Kontrolle in der UdSSR war nichtexistent – und ist in Japan äußerst schwach.

Verheimlichung, Leugnung und Verharmlosung katastrophaler Verbrechen und Fehlleistungen sind auch in Europa und den USA nicht unbekannt, aber bei weitem nicht so systemtypisch wie in geschlossenen Gesellschaften. (RAU, DER STANDARD, 6.9.2013)