Gravierende Sicherheitsmängel, Management-Fehler und "Hokuspokus-Berechnungen": Die Vorwürfe im "Schwarzbuch ÖBB" sind heftig

Hans Weiss, langjähriger Journalist und Autor, sorgt nach seinem "Schwarzbuch Landwirtschaft" wieder für Gesprächsstoff. Auf knapp 200 Seiten beschreibt er, was im Bahnkonzern seiner Meinung nach alles falsch läuft. Dabei beruft er sich auf Unterlagen, die ihm zugesteckt wurden. Die wichtigsten Punkte: Weiss berichtet von schweren Qualitäts- und Sicherheitsmängeln. Hunderte Züge würden monatlich nicht wie vorgesehen in Betrieb gehen, weil die Lokführer kurz vor Betrieb auf technische Probleme aufmerksam werden. "Da gibt es ein gravierendes Management-Problem", so Weiss.

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Auch beim Gleisbau sei er auf Merkwürdigkeiten gestoßen. Die Gleise seien viel breiter als normalerweise üblich. So baue die ÖBB teilweise 4,70 Meter breit, 4,50 Meter würden aber locker reichen. Mit den aktuellen Plänen kommt Weiss über die nächsten 20 bis 30 Jahre auf Mehrkosten von über einer Milliarde. "Ein Geschenk an die Bauwirtschaft", kritisiert Weiss. Die ÖBB kontert: "Das ist wegen des Güterverkehrs so. Wir bekennen uns zu Hochleistungsstrecken, nicht wie etwa in Deutschland zu Hochgeschwindigkeitsstrecken. Bei diesen ist schon ab 200 km/h eine Mindestbreite von 4,70 Metern vorgesehen."

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Oft seien Bauprojekte rein politisch motiviert, so Weiss. Horst Pöchhacker, Aufsichtsratsvorsitzender der ÖBB, nannte im Gespräch mit ihm etwa die Tiroler Unterinntalbahn, eine Hochleistungsstrecke, die 2,4 Milliarden Euro gekostet habe, "unnötig". Sie sei der ÖBB von der "Politik draufgedrückt" worden, sagt Weiss. Überhaupt bestünden zwischen Baubranche und ÖBB bedenkliche Verbindungen. Pöchhacker selbst sei etwa lange Vorstandsmitglied des Baukonzerns Porr gewesen.

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Weiss sieht teilweise "Hokus-Pokus-Berechnungen" als Grundlage für Bauprojekte. Koralm- wie Brennerbasistunnel würden sich nie rechnen, würde man nur die richtigen Zahlen verwenden, sagt der Autor. "Sie beruhen auf falschen Prognosen."

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Mitarbeiter müssten bei langen Reisen öfters einmal in ÖBB-Gebäuden übernachten, so Weiss. Die Bedingungen dort seien "demütigend und entwürdigend". Etwa müssten ÖBB-Angestellte in Betten mit benützten Laken schlafen. Das seien "Zustände, dass der Sau graust", sagt Weiss.

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Weiss kritisiert auch, dass 40.000 aktiven Mitarbeitern 90.000 Pensionisten gegenüberstehen. Das Verhältnis sei damit 10:22, normalerweise liege der Schnitt bei 10:6, sagt Weiss. Etwa zwei Milliarden Euro koste das den Staat jährlich.

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Unnötig Geld wurde laut Weiss beim Kauf von 120.000 Uniformen für lediglich 15.000 Mitarbeiter verwendet. Noch dazu habe sich dann herausgestellt, dass die Uniformen hautreizende Wirkung hätten und die Farbe verlieren würden. "Die Staatsanwaltschaft ermittelt hier noch", sagt Weiss.

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Was Weiss von ÖBB-Chef Kern hält, weiß er selber nicht so genau. "Seit Kern hat sich einiges geändert. Es wird mehr betriebswirtschaftlich gedacht", sagt er. Kern habe im Laden aufgeräumt. Minuten später widerspricht er sich aber selbst: "Es scheint, als habe Kern den Laden nicht im Griff". Auf Anfragen über die Zahl der LKW oder die Länge von Langsamfahrstrecken habe er von Kern erschreckend falsche Angaben bekommen, kritisiert Weiss.

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Bei der ÖBB sieht man die Vorwürfe gelassen. "Das sind alles Dinge aus der Vergangenheit", heißt es aus der Pressestelle auf Nachfrage von derStandard.at. "Man kann die ÖBB von heute nicht mit der von 2003 vergleichen. Das ist eine Auflistung von Dingen aus der Vergangenheit."

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Im Juni war man noch weniger gelassen. Aufsichtsratvorsitzender Pöchhacker sah politischen Einfluss hinter dem Buch: "Ein Anti-Bahnbuch, das ausgerechnet im September herauskommt – no na, viel Fantasie braucht man da nicht", wurde er im Kurier zitiert. Der Kurier musste für den Artikel später eine Gegendarstellung veröffentlichen, es wurden falsche Angaben zu Weiss verbreitet. Auf kurier.at scheint der Artikel mittlerweile nicht mehr auf, man findet ihn aber noch hier online. (red, derStandard.at, 5.9.2013)

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