Mit Tempo sechzig in einer Ente ist man der Wucht der provenzalischen Landschaft noch gewachsen. Wer will schon, dass die Erinnerung an südfranzösische Stillleben wie dieses zu schnell verblasst.

Foto: Beate Schümann

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Anreise: Zum Beispiel mit Fly Niki von Wien nach Nizza, weiter mit dem TGV nach Avignon. 2CV-Verleih: Les Cars Lieutaud, 36, Bd. Saint-Roch, 8400 Avignon. Eine Woche kostet 600 Euro. Kaution: 800 Euro.

Unterkunft: etwa Maison d'Hôtes "Le Clos de Rohan" in Simiane-la-Rotonde; Château Laric in Chabestan

Foto: Camille Moirenc/Hemis/Corbis

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Foto: Maria Ziegelböck

ie steht abfahrbereit vor einer Garage in Avignon, unsere Ente. Ein gepflegter Citroën 2CV in Kiesgrau mit aufrollbarem Verdeck. "Könnt ihr mit ihm umgehen?", fragt Pascal Lieutaud, der fünfzehn Enten im Verleih hat. Die beiden Freundinnen nicken. Monsieur gibt nur eine Kurzeinweisung: "Immer zwei Milliliter flüssiges Blei beigeben, sonst - la catastrophe!" Er drückt uns zwei Schlüssel in die Hand. "Voilà, viel Spaß!"

Schon das Einsteigen in den Oldtimer von 1978 ist eine Akrobatiknummer. Die Sitze gleichen gepolsterten Campingsesseln. Die Schaltung ist vom Typ Revolver mit schwarzer Billardkugel. Es wird auf der Fahrt Entbehrungen geben: keine Zentralverriegelung, keine Klimaanlage, kein Radio. Zündschlüssel rein und drehen, der Motor springt an. Das Geräusch: unentschieden zwischen maschinenhaftem Knattern und entengemäßem Schnattern. Blinker nach links, klack, klack. Mit Schluckauf tuckert der Zweizylinder-Boxermotor auf die Straße.

Begleitet vom Entensoundtrack schaukeln wir an der mittelalterlichen Stadtmauer von Avignon vorbei stadtauswärts. Alles wackelt, auch die Sitze. Schon nach wenigen Kilometern auf der Landstraße gelangen wir zu der Erkenntnis, dass der 2CV, alias "Döschewo", kein Auto, sondern ein Lebensstil ist. Mit ihm ist man in Frankreich von heute wieder eine auffällige Erscheinung. Man hupt und winkt uns freundlich zu.

Den Namen "Ente" kennt hier niemand. Als die ersten Modelle 1949 in Serie gingen, kam das Kosewort "Titine" auf, das so viel bedeutet wie "Schnuckelchen". Citroën wollte einen robusten Kleinwagen ohne Schnickschnack, einen Volkswagen für das ländliche Frankreich der Nachkriegszeit. Ein Korb voll Eier sollte die Fahrt auf einem holprigen Feldweg unversehrt überstehen. Anfangs belächelt, fuhr er bald mitten in die Herzen der Franzosen. Der letzte 2CV lief 1990 vom Band - er war nicht mehr zeitgemäß. Heute hat er Kultstatus.

Im dritten Enten-Gang

Wir nennen auch unsere Ente Titine und biegen in Apt auf die D22, in Richtung Alpes-de-Haute-Provence. Lavendelhaine in violetter Blütenpracht und Weinberge ziehen mit Tempo 60 an uns vorüber. Beim Schalten in den dritten Gang knirscht Titine missmutig. Sonst läuft sie wie ein geölter Blitz. Das Dach ist aufgerollt, das Fenster aufgeklappt, der Arm liegt lässig auf dem Türblech.

Noch am selben Abend sitzen wir bei Françoise Cavallo auf der Terrasse ihres restaurierten Bauernhauses, dem Maison d'Hôtes "Le Clos de Rohan", wo die Hausherrin ein opulentes Fünf-Gänge-Menü serviert. Damit wir uns gleich an Frankreichs beliebtestes Ritual gewöhnen. Am Morgen starten wir nach Simiane-la-Rotonde, das mit der Burg aus dem elften Jahrhundert und dem Gassenlabyrinth verzaubernd schön ist. Vom wuchtigen Wehrturm bietet sich ein weiter Blick bis zum Hügel, auf dem die Zisterzienserabtei Abbaye de Valsaintes liegt.

Mit leichtem Pedal

Zurück auf der Landstraße überholen wir mit leichtem Pedal ein paar Radrennfahrer, die durchs offene Fenster lächeln und den Daumen heben. Doch es gibt auch die anderen, die Grand-Prix-Piloten auf der Straße, für die der "Döschewo" nur ein lästiges Hindernis ist. Der Asphalt flimmert. Die Hitze scheint uns zu verschlucken.

Banon wirkt zur Mittagszeit wie leergefegt. An der Place Saint Just befindet sich die Librairie Le Bleuet, eine der größten Buchhandlungen Frankreichs, in diesem 1000-Einwohner-Dorf. Danach steuern wir die Fromagerie de Banon an, um den berühmten Ziegenkäse in Kastanienblättern zu probieren. Kräftige Schale, cremig-weicher Kern.

Der Übergang vom lehmigen hügeligen Hinterland zur gebirgigen Region Hautes-Alpes ist fließend. Einsame honiggelbe Landhäuser setzen sandfarbene Tupfer in grüne Weinhänge und gelbe Sonnenblumenfelder. Zypressen werfen lange Schatten auf schnurgerade Reihen von blauen Lavendelbüschen bis zum Horizont. Van Gogh hätte sofort zum Pinsel gegriffen.

Außerhalb von Laragne-Montéglin zeigen sich schon die Ausläufer der Südalpen. Vorbei an Obstplantagen, Kirschbäumen und Heuballen schwingt sich Titine über die Piste und watschelt behänd über die Bremsschwellen in den Dörfern. In Upaix parkt vor der Kirche eine Ente. Ein älteres Liebhabermodell, das wir genau unter die Lupe nehmen. Der stolze Besitzer kommt dazu. Mit 77 Jahren hat er sich einen Traum erfüllt: sein erster "Döschewo", Baujahr 1969 - und er hat ihn "Titine" getauft.

Ein paar Kurven weiter beginnt für unsere Ente eine harte Prüfung und für uns selbst einer der schönsten Streckenabschnitte: Bergdörfer wie Montmaur, Châteauneuf-d'Oz und St-Auban-d'Oz reihen sich an der steilen Straße aneinander. Es wird Abend, als wir Le Saix erreichen. Stockrosen blühen, die weißen Berge bilden eine markante Kulisse. Auf dem Dorfplatz werfen Männer im Schatten der Platanen die Boules, eine Form des Müßiggangs, die Provenzalen partout als Sport verstehen wollen. Nach einer Pause im Café streikt Titine allerdings. Die Boulespieler eilen freudig zu Hilfe. Alle Franzosen um die 60 scheinen den 2CV reparieren zu können. Blinker nach links, ein lautes Klack-klack, und wir sind wieder auf der Landstraße. (Beate Schümann, DER STANDARD, Rondo, 6.9.2013)