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Treibende Schilfinseln, untereinander zu kleinen Dörfern vertäut, dienen dem Volk der Urus im Titicacasee als fester Wohnsitz.

Foto: Hugh Sitton/Corbis

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Foto: REUTERS/Mariana Bazo

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Auf dem höchstgelegenen schiffbaren See der Erde: biologisch voll abbaubare Eilande ...

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... und bis zu 150 Jahre alte britische Dampfschiffe wie die Yavari, die recyelt und zur Frühstückspension wurde.

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Anreise: Flug Wien-Lima mit Air France/KLM, teilweise mit nur einem Zwischenstopp. Weiterflug mit Taca nach Juliaca (Puno); per Veranstalter: www.meiers-weltreisen.de

Unterkunft: zum Beispiel das Bed & Breakfast im alten Dampfschiff "Yavari" in Puno

Grafik: DER STANDARD

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Foto: Maria Ziegelböck

Es ist der 20. Jänner 1948. Der britische Schriftsteller Christopher Isherwood - bekannt für seine Berlin Stories als Grundlage des Spielfilms Cabaret - befindet sich auf einer langen Südamerikareise und macht Station am Titicacasee. In sein Tagebuch, das unter dem Titel Kondor und Kühe auf Deutsch erschien, notiert er sein Erstaunen über die Existenz von Dampfschiffen: "Vor allem, wenn man bedenkt, dass sie stückweise die Anden hinaufgebracht und hier wieder zusammengesetzt wurden."

Die Geschichte des ältesten dieser Schiffe wird noch heute gern erzählt. Peru war dank des Guanohandels reich geworden, so reich, dass die Regierung 1861 aus dem fernen England die "Yavari" bestellte und ein Jahr später in 2766 Einzelteile zerlegt in die größte Stadt am See, nach Puno, brachte. Mittlerweile ist sie Frühstückspension und die perfekte Kulisse, um über den sagenumwobenen See nachzudenken.

Der Titicacasee, 3810 Meter über dem Meeresspiegel, ist der am höchsten gelegene und für die Schifffahrt geeignete See der Welt. Der Legende nach sollen die Inkas über ihn aus Bolivien nach Peru eingedrungen sein, historisch belegen lassen sich diese Ereignisse nicht. Ganz sicher aber waren die Spanier ab dem 17. Jahrhundert hier und beuteten die Silber- und Kupfervorkommen der Region aus. Eine Reise in diese abgelegene Ecke am Ende der Hochebene, des Altoplano, war stets beschwerlich und dauerte Tage oder Wochen. Touristen verirrten sich kaum an den See, er war wie eine unwillkommene Sackgasse.

Peru, dem der westliche Teil des Andengewässers gehört, will das nun ändern. Das Land investiert in die Infrastruktur, eine knapp 400 Kilometer lange Straße über das Hochland von der Touristenhochburg Cusco nach Puno wurde fertiggestellt, Hotels in diversen Kategorien eröffnen, Indigene arbeiten als Fremdenführer und lehren Gäste Wortschöpfungen wie "chaka-chaka" und "wau wau". Aber dazu später.

Silber und sein Glanz

Am Ufer liegt Puno, zweifellos der beste Ausgangsort für Ausflüge auf dem Wasser. Die Verwaltungshauptstadt ist die größte Stadt am See, der mit mehr als 8000 Quadratkilometern etwas größer als Kärnten ist und teils zu Peru, teils zu Bolivien gehört. Hunderte Boote liegen in der Bucht, von der das koloniale Stadtzentrum aufsteigt. 1668 wurde Puno gegründet, einige Jahrhunderte lang hieß sie Ciudad de la Plata, Stadt des Silbers, weil es um sie herum reiche Minenvorkommen gab. Von der Glanzzeit ist noch die Kathedrale auf der Plaza de Armas übrig, ein schlichter Barockbau mit dekorativen Motiven von den Indigenen: Pumas, Blumen und Früchte. Die Engel haben ein "charango", ein gitarrenähnliches Musikinstrument, in den Händen.

Eine Verschnaufpause ist bei der Erkundung der Stadt angebracht. Wer von Lima mit dem Flugzeug kommt, wird den Höhenunterschied schnell spüren. Der Kreislauf schwächelt, der Kopf schmerzt, und bei jedem Schritt ächzt die Lunge, als hätte man sein Leben lang im Bergwerk gearbeitet. Höhenkrankheit ist keine Schande. Lieber einen Nachmittag im Hotel ausruhen oder gemächlicher über andere Routen per Bus anreisen.

Selbst die Peruaner von der Pazifikküste erwischt die Krankheit wie ein nasses Handtuch im Gesicht. Das erzählt der einheimische Reiseführer Benito, der vom aktuellen Präsidenten Ollanta Humala deshalb nicht begeistert ist, weil er sich hier oben kaum blicken lässt. "Die Leute von der Küste kommen, dann wird ihnen schlecht, und sie fahren wieder zurück", sagt er.

Benito gehört zu den Aymara, einem alten Volk, das rund um und auf dem See lebt. Als das Motorschiff durch die trüb eingefärbte Bucht färbt, erzählt der 50-Jährige, wie kristallklar das Wasser während seiner Kindheit gewesen sei. Heute nennen die Peruaner diese Bucht - und das ist kein Scherz - "Pipicaca". Der traurige Hintergrund: Puno und auch die bolivianischen Siedlungen verfügen nicht über funktionierende Abwassersysteme. Es heißt, demnächst sollen in der Region zwei Klärgruben gebaut werden. Benito zuckt nur mit den Schultern. Hier, am südlichen unwirtlichen Ende Perus, glaubt man nicht an die Versprechen aus der Hauptstadt.

Wir sind auf dem Weg zu den Urus, jenem Volk, das auf künstlichen schwimmenden Inseln in der Bucht von Puno lebt. Mehr als zweitausend Urus leben in der Region, bei weitem nicht alle auf dem Wasser. Der Legende nach sind sie vor Jahrhunderten vor Feinden auf den See geflohen und hätten sich mithilfe von Schilf ihre Hütten, Inseln, ja ganze kleine Städte gebaut.

Aus der Ferne betrachtet, passen sich die schwimmenden Inseln gut in das Schilfmeer ein, das rund 100 Meter in den See hineinragt. Auf einmal öffnet sich der Blick, dutzende Inseln schwimmen nebeneinander, auf einigen stehen sogar Fertigteilhäuser, in denen die Vorschule und das Krankenhaus untergebracht sind. Es ist eine richtige kleine Stadt, nur eben ohne Fundament und stets Wind und Wetter ausgesetzt.

Benito fährt heute die Insel von Pablo an. Er ist in diesem Teil des Sees der Präsident, jedes Jahr wechseln sich sieben Familien reihum auf diesem Posten ab. Auf Pablos Insel stehen vier Hütten und ein Aussichtsturm, sie ist so groß wie ein Tennisplatz. Benito begrüßt Pablo mit Handschlag, stolz erzählt er von den sieben Kindern des Präsidenten, "viele wau-wau", sagt er, das Wort der Einheimischen für Kinder.

Die Sonne brennt unbarmherzig, auf dieser Höhe schützen sich Europäer mit Cremes, die einen hohen Sonnenschutzfaktor haben. Benito lacht nur. Die Indios haben ihr eigenes Rezept. "Morgens ein bisschen Urin auf die Haut, alles gut", sagt er in gebrochenem Deutsch. Zähneputzen? I wo, dafür könne man mit Urin doch gurgeln. Er lacht, seine weißen Zähne strahlen und geben ihm recht.

Die Schalen des Präsidenten

Präsident Pablo erklärt, wie das Leben auf Apu Into, einer von 60 Inseln, funktioniert. Er holt eine Schale hervor, in der drei Eier liegen. Aus einem Reihernest geholt, wie er erzählt. Aus einem Ei schlüpft gerade ein Küken. In der anderen Schale piepsen bereits geschlüpfte Reiher, zwei struppige Jungvögel, die Pablo noch zwei Monate füttert. "Dann essen wir sie", sagt Pablo. Tagsüber gehen die Urus, wenn sie nicht gerade Touristen empfangen, auf die Jagd. Im und um den See leben 30 Fisch- und 95 Vogelarten, darunter auch der seltene Andenflamingo. Theoretisch sind alle davon für die Urus essbar.

Und dann verrät Benito den Gästen sein Lieblingswort: "chaka-chaka". Pablo lacht, Benito freut sich, und er wird das Synonym für Sex noch einige Male benutzen - immer dann, wenn es um Freizeitgestaltung geht. Dafür gehen viele Paare nicht in die Schlafhütten, sondern fahren in einem Boot auf den See hinaus.

Gebaut werden die schwimmenden Inseln aus Reetballen, eng aneinandergeschnürt und mit weiteren Schichten Schilf bedeckt. Rund 25 Jahre lang bestehen die Inseln, Apu Intu ist bereits 14 Jahre alt. Diese widerstandsfähige Technik erregte 1947 auch das Interesse von Thor Heyerdahl. Der Norweger heuerte Urus für den Bau seines Bootes Kon-Tiki an, mit dem er schließlich bewies, dass es auch in präkolumbianischen Zeiten möglich war, von der südamerikanischen Pazifikküste in die Südsee zu gelangen. Bis heute fahren Nachbauten der Kon-Tiki auf dem See herum, hauptsächlich, um Touristen zu kutschieren.

Steininsel für Stricker

Benito führt die Touristen wieder zurück auf das motorisierte Schiff. Es ist Zeit, zur Taquile aufzubrechen, einer kegelförmigen Steininsel im See, auf der den Inkas verwandte Indios leben; und die "strickenden Männer" - noch so eine Besonderheit des Titicaca, sogar offiziell geadelt durch die Unesco, die die Handarbeit als "Meisterwerk des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit" auszeichnete. Rund sechs Quadratkilometer ist die Insel groß, knapp 1700 Menschen leben hier nach dem Grundsatz "Nicht stehlen, nicht lügen, nicht faul sein". Die Taquilenos pflegen eine uralte Quechua-Sprache und leben von der Terrassenbewirtschaftung ihrer Felder. Sie essen zwar kein Fleisch, halten aber Schafe oder Kühe - wegen der Wolle, als Zugtiere und natürlich zum Verkauf auf dem Markt.

Der imposante Inselkegel ist gute 45 Kilometer von Puno entfernt. Der See liegt nun offen vor seinen Besuchern, am Horizont erkennt man ganz schwach die Sechstausender der bolivianischen Anden - und das Wasser blitzt smaragdfarben. Taquile sieht ein wenig wie eine griechische Insel im Tyrrhenischen Meer aus, nur dass sie 3800 Meter höher liegt.

Über eine lange Treppe erreichen Besucher den Hauptplatz der Insel. Ein Wegweiser zeigt die Entfernungen nach Moskau, New York und Berlin an. Gegenüber in einem schmucklosen Betonquader sitzen die Männer mit ihrem Strickzeug, auf dem Boden oder vor Tischen. Sie fertigen bunte Mützen, Umhänge und Kleider. Benito erklärt die Farbcodes: "Weiße Mützen tragen ledige Männer, rote sind für verheiratete." Und er zeigt auf Hüte mit unzähligen bunten Federn. "Aber die sind nur für das Tanzen beim Karneval."

Während der Rückkehr nach Puno wird die Weite des Titicaca noch einmal besonders eindrücklich. Kaum ein anderes Boot ist am Nachmittag auf dem Wasser, nur ein paar Enten fliegen davon, von menschlichen Siedlungen ist an den schroffen Berghängen nichts zu erahnen.

Unwillkürlich fällt einem wieder Christopher Isherwood ein, der seine Reise auf dem See so beschrieb: "Man fühlt sich verwandelt, triumphierend, beinahe dämonisch; ein entmenschlichtes Wesen, das hoch über der Welt der Städte und Menschen reitet. Es wäre nicht schwierig, in diesem Land verrückt zu werden. Die perfekte Kulisse für Größenwahn." Und natürlich für "chaka-chaka", wie Benito bei jeder Gelegenheit versicherte.

Auf dem höchstgelegenen schiffbaren See der Erde: biologisch voll abbaubare Eilande und bis zu 150 Jahre alte britische Dampfschiffe wie die Yavari, die recyelt und zur Frühstückspension wurde. (Ulf Lippitz, DER STANDARD, Rondo, 6.9.2013)