Paris/Stockholm/St. Petersburg - Die Spitzen der US-Politik werben unentwegt für einen Militärschlag gegen Syrien. Im eigenen Land will US-Präsident Barack Obama mit einer außergewöhnlichen Informationskampagne Zweifel an seinen Syrien-Plänen beseitigen. Am Montag gibt er sechs Fernsehsendern Interviews, für Dienstagabend ist eine Rede an die Nation geplant. Damit will er sich die Zustimmung des Kongresses zum geplanten Militärschlag gegen Syriens Regime sichern. US-Außenminister John Kerry tourt unterdessen durch Europa, um die Verbündeten von der Notwendigkeit eines Militärschlags nach dem mutmaßlichen Giftgasangriff in Syrien zu überzeugen. Die "Frist", innerhalb der Präsident Bashar al-Assad freiwillig die syrischen Chemiewaffen übergeben könne, von der Kerry in London sprach, sei aber kein konkretes Angebot, sondern nur "rhetorisch gemeint", teilte das

Während US-Diplomatie und Politik um Zustimmung ringen, laufen die militärischen Vorbereitungen auf Hochtouren. Fünf US-Zerstörer befinden sich derzeit im östlichen Mittelmeer, zwei Flugzeugträger-Einsatztruppen befinden sich in der Region. US-Basen in der Region stehen ebenfalls bereit für einen Militärschlag. Wie dieser aussehen wird, ist trotz zahlreicher Medienberichte immer noch unklar.

Militärische Optionen

Ein wenig Licht ins Dunkel bringen könnte Martin Dempsey bringen. Der Generalstabschef der US-Streitkräfte formulierte bereits Mitte Juli in einem Brief an US-Senator Carl Levin mögliche Interventionen. Klar zum Ausdruck kommt in dem Schreiben Dempseys Abneigung gegenüber jeglicher militärischer Option für Syrien. Allerdings wurde der Brief verfasst, bevor Obama Konsequenzen für den mutmaßlichen Einsatz von Chemiewaffen ankündigte.

Potenzielle Ziele:

Option I - Verstärkte Unterstützung der Opposition: Dempseys erste Option sieht vor, die Opposition mit nichttödlicher Ausrüstung, Ausbildung und Beratung zu unterstützen. Es wäre nur eine geringe Veränderung zur bereits bestehenden US-Politik in Bezug auf Syrien. Die Schwierigkeiten dieser Option liegen in der Opposition selbst: Die Rebellen sind untereinander zerstritten, und im Westen steigt die Angst vor dem Einfluss radikalislamischer Gruppen innerhalb der Opposition.

Option II - Begrenzter Militärschlag: Ziel eines zeitlich und militärisch begrenzten Militärschlags wäre es, Assad zu überzeugen, in Zukunft keine chemischen Waffen mehr einzusetzen. Ziele könnten Anlagen sein, die eng mit dem Regime verbunden sind, wie zum Beispiel Kasernen und Büros von Eliteeinheiten. Auch Raketenproduktionsstätten, Luftabwehrstellungen und Kommandozentralen der syrischen Streitkräfte könnten Angriffsziele sein. Die Bombardierung von Produktionsstätten chemischer Waffen wäre mit großen Risiken vor allem für die umliegenden Gebiete und ihre Bevölkerung verbunden.

Der Vorteil dieser Option ist, dass sie schnell und ohne aufwendige Vorbereitung gestartet werden könnte und das Risiko für den Westen begrenzt ist, weiter in den Konflikt hineingezogen zu werden. Zum Einsatz würden bei dieser Variante vor allem Tomahawk-Marschflugkörper kommen, die von US-Kriegsschiffen und U-Booten gestartet werden.

Option III - Flugverbotszone: Ziel einer Flugverbotszone wäre es, zu verhindern, dass Regimekräfte mit ihrer Luftwaffe die Rebellen weiter schwächen können. Um das zu bewerkstelligen, müsste Syriens Luftabwehr zuerst deutlich geschwächt werden. Eine schwierige Aufgabe, hatte doch Syrien vor Ausbruch des Bürgerkriegs ein umfangreiches und integriertes Luftabwehrsystem. Der Großteil der Systeme stammt noch aus der Sowjetunion, vereinzelt gibt es jedoch auch moderne russische Waffensysteme. Der Aufwand, eine Flugverbotszone durchzusetzen, ist jedenfalls deutlich größer als bei den meisten anderen militärischen Optionen. Benötigt würden nicht nur Raketen und Kampfflugzeuge, sondern auch Tankflugzeuge, Kommando- und Radarflugzeuge, Notfallpläne und Teams für etwaige Abstürze amerikanischer Flugzeuge auf feindlichem Gebiet.

Die Frage für die westlichen Angreifer wäre, wie stark Syriens Luftabwehr und die Ressourcen dafür durch den seit mehr als zwei Jahren andauernden Konflikt geschwächt wurden. Einige Stellungen und Anlagen, die wesentlich für das Funktionieren einer integrierten Luftabwehr sind, fielen in Rebellenhände oder wurden schwer beschädigt.

Option IV - Pufferzone: Die Idee hinter einer oder mehreren Pufferzonen innerhalb Syriens ist, mehrere Gebiete als sichere Häfen zu etablieren, in die sich Rebellengruppen zurückziehen könnten und wo Hilfe für Flüchtlinge bereitgestellt werden könnte. Derartige Überlegungen gab es schon lange vor dem Chemiewaffeneinsatz, sie wurden jedoch immer abgelehnt.

Auch jetzt ist die Etablierung von Pufferzonen unwahrscheinlich, denn sie müssten nicht nur aus der Luft verteidigt werden. Die Rebellen in den Zonen müssten in der Lage sein, das Gebiet zu verteidigen. Außerdem könnten die syrischen Streitkräfte mithilfe von Raketen und Artillerie auf das Gebiet feuern, ohne ihre Luftwaffe einsetzen zu müssen.

Option V - Einsatz und Zugang zu chemischen Waffenarsenalen verhindern: Der letzte Vorschlag in General Dempseys Brief sah vor, einen weiteren Einsatz chemischer Waffen mit militärischen Mitteln zu verhindern. Das könnte durch die Zerstörung von Chemiewaffendepots erfolgen oder durch den Versuch, die Kontrolle über wichtige Waffenlager zu erlangen. Diese Vorgehensweise würde allerdings ein massives Engagement des US-Militärs erfordern, beispielsweise mit Bodentruppen. US-Präsident Obama und der Kongress haben das jedoch bereits ausgeschlossen. (Stefan Binder, derStandard.at, 9.9.2013)