Cornwall, einmal gar nicht idyllisch: John Gillings' Horrordrama "The Plague of the Zombies".

Foto: Österr. Filmmuseum

Wien - Im frühen Horrorfilm, noch bevor sich der Begriff als Gattung überhaupt durchsetzen konnte, war Lon Chaney, der "Mann mit den tausend Gesichtern", einer der größten Stars. Chaney spielte die monströsen Parts in Klassikern wie The Phantom of the Opera oder The Hunchback of Notre Dame. Seine vielleicht schillerndste Rolle verkörperte er jedoch in Tod Brownings The Unknown (1927): Alonzo, einen Zirkusakrobaten, dem beide Arme fehlen - eine Figur, die auch gut zu den Freaks aus Brownings späterem gleichnamigem Film über Menschen als "Jahrmarktskuriositäten" gepasst hätte, der 1932 zum Skandal wurde.

Trotz seiner Kürze ist der erst in den 1970er-Jahren wiederentdeckte The Unknown ein geradezu grotesk überspannter Film. Der mit seinen Füßen äußerst geschickte Alonzo begehrt die Tochter des Zirkuschefs (Joan Crawford), der wiederum grapschende Männerhände zuwider sind. Zu einem Paar werden die beiden dennoch nicht. Alonzo ist Betrüger und tragisch Liebender, für seine Leidenschaft gedenkt er sehr weit zu gehen - bis hin zur körperlichen Verstümmelung.

In der vom Filmkritiker Christoph Huber kuratierten, äußerst umfangreich angelegten Retrospektive Carnival of Souls: Horrorfilme 1918-1966 im Österreichischen Filmmuseum steht Brownings Stummfilm für die erste Phase einer bis heute nicht nachlassenden Faszination des Kinos für das Unheimliche und Fantastische. Im Unterschied zu expressionistischen Meisterwerken der Weimarer Republik haben die monströsen Kreaturen in den US-Filmen von Beginn an eine menschliche Seite. Das Böse erscheint nicht als Übermacht, sondern ist Teil eines Subjekts, das über eigenen Willen verfügt.

Das ändert sich auch mit der Entdeckung des Horrors als Zweig der Filmindustrie nicht: Frankenstein, James Whales Mary-Shelley-Adaption, mag stellvertretend für das Ungeheuer als leidendes Wesen stehen. In den 1930er-Jahren erwies sich Universal als führendes Studio in diesem Bereich, zahlreiche Klassiker entstanden in dieser Ära, wie Dracula, King Kong, Dr. Jekyll and Mr. Hyde: Im Filmmuseum stehen ihnen zeitgleich entstandene, weniger bekannte Arbeiten wie White Zombie gegenüber. Victor Halperins B-Movie um Eifersucht, Voodoo-Kult und Zombie-Zwangsarbeiter besticht durch unheilschwangere Stimmungen und Tonmelodien.

Vergleiche bieten sich in der Retrospektive auch über die Jahrzehnte hinweg an: In John Gillings The Plague of the Zombies, einer Produktion des britischen Hammer-Studios, das in den 1950er-Jahren eine Revision der Horrorfabeln einleitete, findet sich etwa eine ähnlich klassenbewusste Deutung des Zombie-Mythos wie schon bei Halperin. Ein bäuerliches Dorf in Cornwall wird von einer mysteriösen Todesserie heimgesucht; der ansässige Arzt weiß nicht weiter und sucht bei seinem Professor Rat, der dann in der Bibliothek des Pfarrers wichtige Hinweise entdeckt.

Bei Gillings ist hinter der blutigen Horrormär unschwer das hierarchische Gefälle der britischen Gesellschaft zu erkennen. John Carson spielt einen sinister-aristokratischen Landherrn, der Gefallen an Voodoo-Praktiken gefunden hat und sich zugleich als Dracula-ähnlicher Verführer geriert. The Plague of the Zombies, 1966 gedreht, ist einer der letzten atmosphärischen Zombiefilme vor der Splatter-Wende, die George A. Romero zwei Jahre später einleitete (und die erst im zweiten Teil der Schau berücksichtigt wird).

Dass der Horrorfilm auch eine ganze Reihe von global-spezifischen Ablegern kennt, zeigen ein paar sorgfältig gewählte Exoten im Programm. À meia-noite levarei sua alma (Um Mitternacht werde ich deine Seele holen) vom Brasilianer José Mojica Marins beispielsweise, dem ersten Teil einer politischen Trilogie um den Totengräber "Coffin Joe". Oder der japanische Klassiker Tokaido yotsuya kaidan (Geistergeschichte um Yotsuya): Nobuo Nakagawa, einer der bildermächtigsten Horrorregisseure, verleiht der Macbeth-ähnlichen Geschichte um einen Samurai, den die Geister all jener verfolgen, die er ermordet hat, mit einer ausgeklügelten Farbdramaturgie eine wahnhafte Dimension. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 5.9.2013)