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Verrostetes Auto in Oradour-sur-Glane.

Foto: REUTERS/Pascal Rossignol

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"Ein Platz der Folter. Eine Gruppe von Menschen wurde durch die Nazis massakriert und verbrannt. Nehmen Sie sich einen Moment, um sich zu erinnern."

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In der Ruine der niedergebrannten Dorfkirche gedachte Gauck am Mittwoch Hand in Hand mit dem französischen Staatschef François Hollande und dem Überlebenden Robert Hebras der Opfer.

Foto: REUTERS/Jean-Pierre Muller

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In Oradour ist die Zeit nicht nur stillgestanden - sie ist erstarrt. Ausgebrannte Bauruinen, alte Citroën-Wracks, irgendwo eine verrostete Nähmaschine: Der alte Ortskern hat sich seit dem 10. Juni 1944 nicht verändert. Damals löschte die deutsche Waffen-SS die Bevölkerung des gesamten zentralfranzösischen Dorfes aus. Die Männer wurden der Reihe nach erschossen, die Frauen mit ihren Kindern in der Kirche zusammengepfercht und verbrannt. Die Hitze war so stark, dass gar eine Glocke schmolz, wie noch jetzt zu sehen ist. 642 Opfer wurden gezählt. Eine einzige Frau, Marguerite Rouffanche, entkam dem Inferno verletzt und konnte Zeugnis ablegen von einer Schreckenstat, die in Frankreich noch heute nachwirkt.

Mit Joachim Gauck besucht am Mittwoch erstmals ein deutscher Präsident den Ort in der Nähe der Stadt Limoges. Der Vorschlag dazu kam vom französischen Präsidenten François Hollande, der in der nahen Provinzstadt Tulle - wo die SS-Division "Das Reich" auf ihrem Rückzug bereits 99 männliche Einwohner erhängt hatte - seine lokale Politbastion hat. Der ostdeutsche Pastor Gauck, seit Dienstag auf Staatsbesuch in Frankreich, sucht solche Gedenkstätten gerne auf. Die deutsche Botschaft streicht den Oradour-Termin in dem dreitägigen Besuchsprogramm etwas weniger heraus - verständlich, wenn man sich die eiskalt geplante und ausgeführte Vernichtung unschuldiger Dorfbewohner durch die Nazis vor Augen führt.

"Durch die Nazis" steht jedenfalls auf einer Marmorplakette, die beim Ortsbesuch ins Auge sticht. Dabei waren längst nicht alle Täter Deutsche. 1953 kam es zum Prozess, und neben sieben Deutschen waren vierzehn Franzosen angeklagt - Elsässer. Sie wurden zum Tod oder langer Haft verurteilt.

Nationalversammlung erließ Amnestie

Schon kurz darauf erließ die französische Nationalversammlung jedoch auf elsässisches Betreiben und mit 319 gegen 211 Stimmen eine Amnestie für diese "Malgré-nous". Betroffen waren alle Elsässer, die "gegen ihren Willen" in die deutschen Einheiten inkorporiert worden waren, wie sie behaupteten.

Wie weit dabei Zwang oder Freiwilligkeit mitspielte, treibt die Franzosen bis heute um. Dabei geht es nicht nur um die Oradour-Täter oder die Elsässer, sondern die ganze Frage der französischen Kollaboration. Unter dem Schock des Massakers beruhigten sich die Gemüter in der Limousin-Gegend nie richtig, und noch 1994 fand Staatschef François Mitterrand im neuen Ortsteil von Oradour aus Protest verschlossene Fensterläden vor, als er den Gedenkort aufsuchte.

"Keine Verräter, sondern Opfer"

Vor drei Jahren riss Nicolas Sarkozy die Wunden wieder auf, als er erklärte, die zahllosen "Malgré-nous" im Elsass und anderswo seien "keine Verräter, sondern Opfer eines regelrechten Kriegsverbrechens" durch die Nazis gewesen. Allen Versöhnungszeremonien zum Trotz bestehen heute noch Ressentiments zwischen Elsässern und Limousin-Bewohnern.

Für Gauck wie auch für Hollande wird es nicht leicht sein, in Oradour die richtigen Worte zu finden. Zumal auch die politische Aktualität hineinspielt. Deutschland tritt heute in der EU selbstbewusster auf und will nicht mehr ständig - schon gar nicht durch den befreundeten Rivalen Frankreich - ständig an seine Vergangenheit erinnert werden.

Holland drängt auf Syrien-Reaktion

Und dann ist da auch noch der Giftgaseinsatz in Syrien. Für Hollande kommt die Zeremonie in Oradour gelegen, um auf eine entschlossene Reaktion Frankreichs gegen das brutale Assad-Regime zu drängen. Seit Tagen wächst in Paris die Kritik, der Staatschef in Paris treibe sein Land in den Krieg gegen Damaskus, ohne bei der entsprechenden Parlamentsdebatte am Mittwoch eine Abstimmung zuzulassen.

Die Versuchung für Hollande ist damit groß, das lebendige Gedenken an das Oradour-Massaker für seinen militärische Initiative einzusetzen. Zu diesem Zweck legte seine Regierung am Montagabend auch angebliche "Beweise" über die Verwicklung von Assads Schergen vor. Letzte Sicherheit konnte sie aber auch nicht herstellen. Gerade Oradour sollte eigentlich nicht nur aufrütteln, sondern auch zur Vorsicht mahnen, was plakative Schuldzuweisungen betrifft. (Stefan Brändle aus Oradour-sur-Glane, derStandard.at, 4.9.2013)