Paris/Düsseldorf - Die Weltmacht USA trumpft nach Auffassung
des französischen Historikers Emmanuel Todd nur zum Schein
militärisch und politisch auf. "Militärisch haben die USA im Irak
ähnliche Probleme wie die Russen in Afghanistan - oder wie Napoleon
in Ägypten. Und politisch haben Sie den Fehler gemacht, strategisch
wichtige Partner zu brüskieren", erklärte Todd, der bereits 1976 den
Untergang der Sowjetunion vorhergesagt hatte, in einem Interview mit
dem deutschen "Handelsblatt". "In Wahrheit ist der
Irak für die USA das, was Afghanistan für die Sowjetunion war - der
Anfang vom Ende."
"Heute zeigen die Amerikaner dieselben Symptome wie damals die
Russen: Die Politik ist blind gegenüber den Realitäten, auch die
Wirtschaft ist ideologisch verblendet. In den USA macht sich falsches
Bewusstsein breit wie einst in der UdSSR", sagt der Autor des
Bestsellers "Weltmacht USA - Ein Nachruf".
"Die Bilanzfälschungen bei Enron, Worldcom oder Andersen haben
gezeigt, dass die Unfehlbarkeit der US-Wirtschaft ein Mythos ist.
Doch auch ohne diese Skandale ist die ökonomische Stärke der USA eine
Fiktion", so Emmanuel Todd, der im amerikanischen
Handelsbilanzdefizit den Beweis dafür sieht, dass die USA
wirtschaftlich abhängig geworden sind: "Die Amerikaner hängen nicht
nur von Rohstoffen aus dem Nahen Osten ab, sondern auch von
Industriegütern aus Japan oder Deutschland."
Was zähle, sei nicht der Irak, sondern die Wirtschaft, der Euro,
die EU-Erweiterung: "Hat der Krieg im Irak die Polen und die
Tschechen daran gehindert, der Europäischen Union beizutreten? Nein!
Hat er den Euro geschwächt? Nein! Die Amerikaner müssen sich schwarz
ärgern... Als die Sowjetunion zusammenbrach, schien Amerika
allmächtig. Doch nun wird klar, dass das Ende des Kommunismus vor
allem Europa zu gute kommt - es hat der EU hundert Millionen
zusätzliche Konsumenten beschert. Aus US-Sicht ist das erschreckend.
Deshalb versucht Präsident (George W.) Bush, Europa zu spalten",
meint Todd, der sich selbst als "Post-Amerikaner" bezeichnen würde -
als jemanden, der "den Glauben an die Weltmacht USA verloren hat." (APA)