"Menschen wollen ihr Viertel attraktiver gestalten, ohne zu mehr Konsum und Energieverbrauch verführt zu werden", sagt Barbara Smetschka.

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STANDARD: Sie untersuchen die Zusammenhänge zwischen Zeitverwendung und Energieverbrauch in Städten. Welche Bedeutung haben diese Wechselwirkungen?

Smetschka: An unserem Institut erforschen wir in erster Linie die Interaktionen zwischen Gesellschaft und Natur und die Möglichkeiten einer nachhaltigen Entwicklung. Dabei muss man sowohl die ökonomischen als auch die ökologischen und die sozialen Aspekte berücksichtigen. Lebensqualität heißt nicht nur materieller Wohlstand, sondern auch Zeit, über die man selbst verfügen kann. Wir gehen davon aus, dass die verfügbare Zeit Entscheidungen in Haushalten genauso beeinflusst wie das verfügbare Geld. Der Zeitdruck, den die meisten Menschen heute verspüren, geht oft auch mit einem höheren Energieverbrauch einher. Wenn ich zum Beispiel von einem Punkt zum anderen will, werde ich mich bei Zeitmangel eher für das Auto als für das Fahrrad entscheiden und brauche desto mehr Energie, je schneller ich dort sein will.

STANDARD: Wie kommen denn urbane Zeitverwendungsmuster zustande?

Smetschka: Zeit ist für alle gleich verteilt, wir haben alle 24 Stunden täglich zur Verfügung. Es gibt bestimmte Notwendigkeiten wie Zeit zur Pflege der eigenen Person, Zeit zur Versorgung der Familie und auch Zeit, die man nach eigenen Präferenzen einteilen kann. Daraus entstehen spezifische Zeitverwendungsmuster. Die werden jedoch auch von der städtischen Infrastruktur wie Öffnungszeiten und von der Arbeitswelt mitgeprägt. Die Entgrenzung der Arbeitszeit führt zu einem Verschwimmen der Trennlinien zwischen Arbeit und Nichtarbeit.

STANDARD: Sind die Zeitverwendung und der damit einhergehende Energieverbrauch nicht vor allem von den sozioökonomischen Rahmenbedingungen vorgegeben?

Smetschka: Stimmt. Man muss immer auch die Ungleichheitsverhältnisse im Blick haben. Deshalb ist Zeitverwendung eben auch ein gutes Maß für Lebensqualität. Die urbane Infrastruktur spielt dabei für Verbesserungen eine zentrale Rolle. Alleinerziehende Mütter und Väter brauchen zum Beispiel vor allem: kurze Wege und gute Öffnungszeiten sowie Ganztagsbetreuungseinrichtungen für die Kinder.

STANDARD: Bei Ihrer Arbeit wird auch das Konzept einer "kommunalen Zeitpolitik" angesprochen. In Wien wurde bereits eine Machbarkeitsstudie über solche Maßnahmen durchgeführt. Was sind die wichtigsten Ergebnisse?

Smetschka: Kurze Intervalle und geeignete Fahrtzeiten der öffentlichen Verkehrsmittel waren einer der Vorschläge, die inzwischen weitgehend umgesetzt wurden, und natürlich auch die flächendeckende Kinderbetreuung, auf die Wien sehr stolz ist.

STANDARD: Geht es beim Zusammenwirken von Zeitverwendung und Energieaufwand nicht in erster Linie um Fragen der wirtschaftlichen Effizienz?

Smetschka: Durch mehr Effizienz verbrauchen wir eher mehr Energie. Wenn man mehr produzieren will, werden die Ressourcen stärker beansprucht. Ein niedriger Energieverbrauch kann durch bessere Technologie bewirkt werden, aber danach kommen eben andere Faktoren wie der vermehrte Konsum ins Spiel. Betrachten wir zum Beispiel das Urlaubsverhalten: Die heutigen Zeitvorgaben verhindern, dass man ein paar Wochen Sommerfrische auf dem Land machen kann. Dafür unternehmen Menschen an sechs Wochenenden im Jahr Städtetrips mit dem Flugzeug. Das ist energietechnisch ein enormer Unterschied.

STANDARD: Aber Menschen können ihr Mehr an Freizeit auch für energieaufwändige Ausflüge nutzen. Experten bezeichnen dieses Problem als Rebound-Effekt. Wie könnte dieser umgangen werden?

Smetschka: Der wird umgangen, wenn die Leute zwar mehr Freizeit, aber nicht immer mehr Geld haben. Es gäbe die Möglichkeit, viele Aktivitäten weniger energieintensiv zu gestalten. Nahe Grünflächen könnten dabei helfen, ebenso wie Freizeiteinrichtungen, in denen nicht konsumiert werden muss. Das wäre dann eine Alternative zum Kinocenter am Stadtrand. Solche Ideen entwickeln wir bereits mit den Bewohnern eines Wiener Grätzels. Die Menschen dort wollen ihr Viertel attraktiver gestalten, ohne dabei zu mehr Konsum und mehr Energieverbrauch verführt zu werden.

STANDARD: Einige Fachleute plädieren dafür, Nachbarschaften zu schaffen, in denen alle Einrichtungen des täglichen Lebens innerhalb von 20 Minuten ohne Auto erreichbar sind. Ließe sich so etwas in einer historisch gewachsenen Großstadt wie Wien überhaupt verwirklichen?

Smetschka: Wir sprechen hier von einer "Stadt der kurzen Wege". Auch dazu gibt es viele Ideen. Das alte Wien war einmal eine solche Stadt. Man muss dafür sorgen, dass unter anderem das Geschäftesterben nicht weiter anhält. Leerstehende Lokale sollten leichter einer Zwischennutzung zugänglich gemacht, Mietpreiserhöhungen gebremst werden. Es gilt nahe Einkaufs- und Erholungsmöglichkeiten zu erhalten und auszubauen. Verkehrsberuhigte Wohnstraßen sowie Innenhof- und Dachbegrünungen könnten Fahrten ins Grüne einsparen. Man sollte mehr Leben auf der Straße zulassen. Eine gute Durchmischung von Wohnungen und Arbeitsplätzen ist auch wichtig. Der Tendenz zur Einrichtung großer Industrie- und Einkaufsparks mit weiten Anfahrtswegen muss entgegengewirkt werden. (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, 4.9.2013)