Deutschkurs als Auflage für den Bürgerstatus: Szene aus "Die 727 Tage ohne Karamo".

Foto: Filmladen

Wien - Ein Skype-Gespräch, über die halbe Erdkugel hinweg geführt. Er ist Österreicher, sie Asiatin. Obwohl sie ein Paar sind, dürfen sie nicht gemeinsam leben - die Frau hat keine Aufenthaltsgenehmigung. Er hat auch heute schlechte Nachrichten für sie: Ein weiterer Behördenweg brachte kein eindeutiges Ergebnis, weitere Formalitäten, weitere Einreichungen sind nötig. Sie weint. Er vertröstet sie. Dazwischen sieht man, wie er das Couchbett überzieht - nur eine Seite.

Anja Salomonowitz' Dokumentarfilm Die 727 Tage ohne Karamo erzählt gleich zwanzig Geschichten solcher verhinderter Zweisamkeit. Binationale Paare, von denen ein Teil einem Drittstaat angehört, haben in Österreich mit erheblicher Bürokratie zu kämpfen und müssen etwa den Beweis erbringen, dass sie über eine bestimmte Einkommenshöhe verfügen. Wem das nicht gelingt, der macht schnell Bekanntschaft mit der Fremdenpolizei - im äußersten Fall droht Abschiebung.

Wie schon in ihrem vorangegangenen Film Kurz davor ist es passiert, der sich mit Zwangsprostituierten beschäftigt hat, wählt Salomonowitz auch in Die 727 Tage ohne Karamo eine "unreine", stilisierte dokumentarische Form. Sie will die Betroffenen nie einfach nur darstellen, sondern überdies strukturelle Zusammenhänge herausarbeiten.

Sprachen in Kurz davor ist es passiert ausschließlich Personen, die in den Fallgeschichten bestimmte Nebenrollen (ein Kellner, ein Grenzbeamter etc.) einnahmen, demonstriert nun eine Collage aus Paargeschichten, wie systematisch der Staat in Privatleben vordringt - und welche schädlichen (Neben-)Effekte das für das Wohl der Betroffenen bringt.

Besonders eindringlich sind vor allem jene Situationen, in denen ein traumatisierendes Ereignis aus der Vergangenheit nachgestellt wird. Einmal sieht man eine Frau, die sich an den Besuch der Fremdenpolizei erinnert - daran, wie diese ihre Wohnung durchsucht hatte; das Reenactment bringt sie von Neuem gerade so aus der Fassung, als erlebte sie die Situation zum ersten Mal.

An anderen Stellen bleibt Salomonowitz um Distanz bemüht. Figuren werden in ein privates oder professionelles Umfeld eingepasst, das durch die antinaturalistische Farbgebung des Films - es dominieren Gelb-, Orange- und Grüntöne - verfremdet wird. Oft kommt der Ton dazu aus dem Off, einmal sprechen die Personen selbst, dann wieder eine Expertin, die die immergleichen Etappen und damit einhergehenden Erschwernisse resümiert, mit denen die Paare konfrontiert sind.

Die kompositorische Strenge von Die 727 Tage ohne Karamo akzentuiert den "Sonderstatus", das Leben der betroffenen Menschen unter Beobachtung. Sie erscheinen umso mehr der Realität enthoben, als sie ständig um ihr Recht auf Alltag kämpfen müssen. Dass Salomonowitz der Gegenseite, der Institution und ihren Organen, keinen Platz in ihrem Film einräumt, erscheint unter diesen Bedingungen als kein großes Manko: Denn indirekt ist der Staat mit seinen rigiden Auflagen ohnehin präsent - kaum eine Szene gibt es in diesem Film, in der nicht der Platz in der Gesellschaft in Zweifel gezogen wird.      (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 4.9.2013)