Der Kandidat Barack Obama legte einst gesteigerten Wert auf die Verfassungsformel, wonach der amerikanische Staatschef nicht auf eigene Faust, ohne das Parlament einzubeziehen, Militärschläge anordnen kann, es sei denn, die Sicherheit der Nation wäre akut bedroht. Der Präsident Obama schien eine Weile vergessen zu haben, was er noch 2007 als markante Konstante des Spiels der "checks and balances" charakterisierte, der delikaten Balance zwischen Weißem Haus und Kongress, die weder Exekutive noch Legislative zu viel Macht zukommen lässt. Den Widerspruch hat er aufgelöst, indem er die Abgeordneten über die geplante Strafaktion gegen die Regierung Bashar al-Assads mitentscheiden lässt.
Über das Motiv lässt sich trefflich spekulieren. Mag sein, dass er Zeit gewinnen will für die Diplomatie, für Kompromisse beim G-20-Gipfel in St. Petersburg. Mag sein, dass sich der Politiker unwohl fühlte in der Rolle des Kriegsherrn, ganz und gar unpassend zu seiner sonstigen, gründlich abwägenden Art. Mag sein, dass Obama einen überparteilichen Schulterschluss im Kongress sucht, die inneramerikanische Koalition als Ersatz für die internationale, um deren Chancen es nach dem Absprung der Briten schlechter bestellt ist, als Strategen wie John Kerry noch vor Wochenfrist glaubten.
Schließlich kursiert die These, ein ernüchterter Präsident verstecke sich hinterm Parlament und hoffe insgeheim auf ein Nein der Legislative, um selber aus dem Schneider zu kommen. Tatsächlich hat er sich eine Falle gestellt, als er im August 2012 die rote Linie des Syrien-Konflikts zog, die Anwendung von Chemiewaffen, die Amerika nicht tolerieren werde. Tut er nichts, verliert er seine Glaubwürdigkeit. Handelt er, riskiert er ein Szenario, bei dem Assad über einen Papiertiger spottet, der ihm nicht einmal ernsthaft schaden kann. Dann stiege der Druck, den Einsatz zu eskalieren.
Stets blockiert
Jedenfalls überlässt der Präsident die Entscheidung einer Opposition, die ihn bisher stets zu blockieren versuchte, sei es beim Schuldenlimit oder der Gesundheitsreform. Ob er in den eigenen Reihen auf eine Mehrheit kommt, steht in den Sternen, mehr noch als die Konservativen symbolisieren die Demokraten die Kriegsmüdigkeit im Land. Ohne die Republikaner geht es also nicht, doch die Gemengelage bei der "Grand Old Party" ist unübersichtlich.
Libertär gesinnte Konservative wie der Senator Rand Paul lehnen einen Militäreinsatz ab, weil Amerika in ihren Augen nicht die Rolle der Supermacht zu spielen hat. Das eigentliche Risiko fürs Weiße Haus aber verbindet sich mit dem Rutschbahneffekt, den republikanische Falken auszulösen versuchen. John McCain und Lindsey Graham, die profiliertesten Vertreter dieser Fraktion, drohen mit einem Nein, aber nicht weil sie den Waffengang ablehnen, sondern weil er ihnen nicht weit genug geht. Eine Attacke müsse mehr sein als der Schuss vor den Bug Assads, sie müsse die Waage des Bürgerkriegs zugunsten der Rebellen kippen. Sollte es am Ende auf die Stimmen der Falken ankommen, könnten McCain & Co den Gefangenen im Oval Office in ihre Richtung treiben - vielleicht der unberechenbarste Aspekt des präsidialen Vabanquespiels. (Frank Herrmann aus Washington, DER STANDARD, 2.9.2013)