Durch die achtstündige Londoner Unterhaus-Debatte, die mit einer Niederlage des Regierungschefs David Cameron endete, zog sich ein Argument: Da der Irakkrieg vor zehn Jahren mit einer Lüge begründet wurde (der von der Existenz irakischer Massenvernichtungswaffen), wollten sie, die gewählten Abgeordneten, nicht wieder angelogen werden. Die Beweise für die direkte Verantwortung des syrischen Staatschefs Assad beim Giftgaseinsatz vor zehn Tagen seien zu dünn. Der Effekt der Skepsis: Großbritannien darf sich bei einem Angriff auf das offizielle Syrien nicht beteiligen. Zum ersten Mal seit mehr als 200 Jahren lehnte ein britisches Parlament eine solche Ermächtigung ab.

Die Londoner Abstimmung schwächt die westliche Front gegen Assad und stärkt Wladimir Putins Russland. Sie beendet vorläufig auch die Allianz zwischen den USA und Großbritannien zu Zeiten von George W. Bush und Tony Blair.

Vor allem aber bedeutet sie zunächst auch eine (zumindest temporäre) Rückkehr zum Primat der Politik und des Parlamentarismus. Dies wird durch die samstägige Ankündigung Barack Obamas bestätigt, er wolle den Kongress, also US-Senat und US-Repräsentantenhaus, über einen Militäreinsatz gegen Syrien abstimmen lassen. Damit schiebt der zaudernde Präsident die Entscheidung wie in Großbritannien den Volksvertretern zu. Andererseits ist auch das eine späte Konsequenz aus der manipulativen Machtpolitik seines Vorgängers.

Das zum Unterschied vom Libyen-Einsatz stümperhaft wirkende Manövrieren der Westmächte hat auch einige praktische Ursachen - neben der dünnen Beweislage in der Frage des Gaseinsatzes.

1.) Syrien ist zwar wie der Irak und Libyen ein Ölförderland. Aber die Reserven sind vergleichsweise gering, 2020 wird es bereits Einfuhren brauchen. Seine wirtschaftliche Bedeutung ist daher weit geringer als die des Irak.

2.) Im Jänner 2003 hat Bush ebenfalls von einem begrenzten Einsatz gesprochen und im Mai den Krieg für beendet erklärt. Der ging umso heftiger weiter - als Bürgerkrieg. Damit argumentieren vor allem amerikanische Generäle.

3.) "Syrien ist der Mikrokosmos der gesamten Region", erinnerte der israelische Politiker Avraham Burg am Samstag im Standard. Jede Entscheidung sei falsch, schreibt Burg, womit er das Problem Nahost in seinem Kern beschreibt.

Ob des Mangels an Kompetenz und Entschlusskraft auf westlicher Seite gewinnen Kritiker eines Eingreifens wie Oppositionelle (z. B. Labour in Großbritannien) an Einfluss. Und zum Unterschied von der Finanzkrise, wo eine weitgehend unkontrollierte Finanzindustrie der Politik die Linie diktiert, scheint die Rüstungsindustrie an Einfluss verloren zu haben. Wenigstens im Moment.

Stärker ist die über Umfragen erhobene Angst, in einen neuen Krieg und damit in neue Preisschübe hineinzugeraten. Wenn in Parlamenten noch dazu die Skepsis überwiegt, erneut von Machtinhabern hineingelegt zu werden, sind Nein-Entscheide in Kriegsfragen sehr plausibel. (Gerfried Sperl, DER STANDARD, 2.9.2013)

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