Ein Korruptionsskandal hat es an den Tag gebracht. Die Staatsanwaltschaft rief in dem spektakulären chinesischen Schauprozess gegen den Expolitbürofunktionär Bo Xilai den Konzernchef von Dalian, Xu Ming, als Belastungszeugen vor Gericht. Der Milliardär hatte einst im Auftrag von Bos Ehefrau und für den Sohn eine Villa in Südfrankreich finanziert. Die Familie erwarb ein Luxusanwesen um 2,32 Millionen Euro. Das wurde dann von den staatlichen Behörden Chinas beschlagnahmt. Wert ist es heute ein Vielfaches.
Reiche Anleger aus China haben weltweit Riesensummen in den Aufkauf von Wohnanlagen investiert, darunter auch in Weingüter, etwa in Bordeaux, oder in Freizeitparks. In den offiziell ausgewiesenen Auslandsinvestitionen aus der Volksrepublik China werden sie meist nicht mitgezählt. Aber gerade diese Art versteckter Investitionen, die oft über ausländische Strohmänner laufen, verstärkt nur den Eindruck, dass das Reich der Mitte heute weltweit auf Einkaufstour ist.
Beträchtliche Einkäufe in den USA
Chinesische Wirtschaftsfachblätter zitieren zum Beispiel Studien des US-Immobilienmakler-Verbands NAR, wonach Chinesen in 44 Bundesstaaten der USA in beträchtlichem Umfang Immobilien aufgekauft haben. Bis März 2012 hätten sie 7,4 Milliarden Dollar (5,6 Milliarden Euro) in US-Grund- und Hausbesitz angelegt. Bis Frühjahr 2013 habe sich diese Summe um weitere fast fünf Milliarden Dollar erhöht. "Fällt Häuserkauf unter Investitionen oder unter Fluchtkapital aus Vorsorge?", fragte die Branchenzeitung des chinesischen Flugverkehrsverbands, "Top Shikong".
Solche Anlagen tauchen in offiziellen Zahlen nicht auf. Nach Angaben des Handelministeriums in Peking investierten chinesische Unternehmen 2012 insgesamt 77 Milliarden Dollar in weltweit verstreute Neuprojekte, Übernahmen, Beteiligungen oder Mergers und Akquisitionen. Gut 110 Milliarden Dollar flossen dagegen im gleichen Zeitraum aus dem Ausland nach China.
Suche nach Gelegenheiten
In der Vorwoche bezifferte das Handelministerium Chinas Auslandsinvestitionen im Zeitraum Jänner bis Juli 2913 mit 50,7 Milliarden Dollar, ein Plus von 19,7 Prozent. Wie das gesamte Wirtschaftswachstum schwächt sich auch der Zuwachs bei den Auslandsinvestitionen ab. 2006 bis 2010 lagen die Steigerungsraten noch bei jährlich 30 Prozent. Seit dem Beitritt des Landes zur Welthandelsorganisation WTO im Jahr 2001 haben chinesische Unternehmen und Staatsgesellschaften weltweit insgesamt 485 Milliarden Dollar investiert. Umgekehrt beliefen sich die Auslandsinvestitionen in China auf gut 1200 Milliarden Dollar.
Das relativiert die Aussage des Chefs des chinesischen Unternehmerverbands, Wang Zhongyu. Dieser preist den Wandel des "größten Entwicklungslandes der Welt, das die meisten Auslandsinvestitionen anzieht, in das größte Entwicklungsland mit den meisten Investitionen nach außen". Solche Worte haben bei vielen einen Hype an hoffnungsfrohen Erwartungen auf eine Flut omnipotenter chinesischer Investoren ausgelöst.
Furcht vor chinesischen "Heuschrecken"
Andere befürchten den Ausverkauf von Filetobjekten in aller Welt, wenn chinesische "Heuschrecken" mit ihrer "Kriegskasse" von mehr als 3000 Milliarden Dollar Devisenreserven einkaufen kommen würden. Chinas Auslandsinvestoren aber haben keinen Zugriff auf die im Ausland konservativ angelegten, staatlich kontrollierten Devisenreserven. Nur die dafür gegründete Investitionsgesellschaft CIC kann sich in strategische Infrastrukturprojekte wie Wasserwerke oder Flughafenbeteiligungen, etwa in Großbritannien, einkaufen. Ihr Gesamtvermögen ist rechnerisch auf rund 500 Milliarden Dollar angewachsen. Die CIC agiert aber nach einer Anfangsserie verlustreicher Beteiligungen übervorsichtig.
Hintergrund solcher Ängste sind Verluste, wie sie etwa nach der Pachtübernahme des griechischen Hafens Piräus entstanden sind, oder durch politisch motivierte Marktsperren für Investitionen.
Der Elektronik- und IT-Netzausrüster Huawei oder der Baumaschinenkonzern Sany sind Betroffene. Auch Öl- und Rohstoffkonzerne holten sich bei Übernahmeversuchen Abfuhren. Unternehmen erlitten zudem Verluste im Nahen Osten nach den geopolitischen Unruhen.
Consultingfirmen, Bankstudien und M&A-Experten sehen Europa im Zentrum einer künftigen Investitionsoffensive. Doch das Gros chinesischer Auslandsinvestitionen geht nach wie vor in Energiedeals, in Vorhaben zur Rohstoffsicherung, Ausbeute und Verarbeitung, eher selten in spektakuläre Großprojekte wie beispielsweise die Übernahme der schwedischen Volvo-Werke.
Nordamerika vor Europa
Die größten Empfänger bleiben Kanada, USA und Australien. Europa, dessen Nationen zusammen Chinas Handelspartner Nummer eins sind, steht weiter hinten auf der Liste. Ein Berater des Handelsministeriums nennt zwei Stoßrichtungen für Chinas Investitionen in Europa: Interesse bestünde an der Übernahme oder dem Erwerb spezialisierter mittelständischer Unternehmen mit zukunftsträchtiger Expertise, den sogenannten "Hidden Champions". Auch Beteiligungen an strategisch interessanten Infrastrukturprojekten seien gefragt. Beides sei allerdings schwierig zu realisieren. (Johnny Erling aus Peking, DER STANDARD, 2.9.2013)