Bei Olympischen Sommerspielen bewundere ich immer wieder die Bahnradfahrer, die beim Start ewig lang auf ihren dünnen Rädern stillstehen können. Nun denke ich mir, dass ich diese Technik wohl selbst lernen sollte.
Im neuen Fußgängerbereich der Mariahilfer Straße ist für Radfahrer nämlich Schrittgeschwindigkeit vorgeschrieben. Schrittgeschwindigkeit, erklärte mir die Polizistin mit der Radarpistole schroff, heißt 3-5 km/h. Alles darüber ist verboten und wird bestraft.
In einem so langsamen Tempo Rad zu fahren ist technisch sehr, sehr schwer (ungeübte Fahrer fallen da leicht um) und psychologisch fast unmöglich. Versuchen Sie einmal zu Fuß einen ganzen Häuserblock im Schneckentempo zu gehen. So ähnlich fühlt sich das auf dem Rad an.
Die Radakrobatik, die die Grüne Stadträtin Maria Vassilakou von den Radfahrern fordert, ist einfach absurd. Da könnte man genauso gut den Fuzo-Bereich für Radler sperren. Aber es gibt eine sinnvolle Alternative: Rund um den Pratervorplatz, wo genügend Fußgänger unterwegs sind, dürfen Radler mit 10 km/h fahren. Das ist auch sehr langsam, aber machbar.
Nicht zuhören können
Warum entscheidet sich Vassilakou für eine realitätsferne Vorschrift? Hat ihr keiner der vielen Radler bei den Grünen erklärt, dass eine Geschwindigkeitsgrenze von 5 km/h einfach nicht umsetzbar ist? Oder hat man es ihr vielleicht gesagt, und sie hat nicht hingehört?
Es geht hier weniger um den Komfort der Radler auf einem kurzen Straßenstück. Wir müssen nicht über die Mahü fahren.
Die Frage ist eher: Wenn Vassilakou und ihr Team die Bedürfnisse ihres Kernklientels so wenig verstehen oder so deutlich ignorieren, kann man dann erwarten, dass sie sich mit den Interessen der Geschäftsleute auseinandergesetzt haben, mit denen der Anrainer, der 13A-Autobusfahrer, der Fußgänger oder gar – ja die gibt es auch – der Autofahrer? Hat Vassilakou im Jahr der Vorbereitung für die neue Mahü irgendeine von diesen Gruppen ernsthaft gefragt bzw. ihnen wirklich zugehört?
Offenbar nein, sonst wäre das Vorzeigeprojekt Mariahilfer Straße etwas besser vorbereitet worden.
Unerfahren und überheblich
In der vielleicht politisch wichtigsten Phase der österreichischen Grünen seit ihrer Gründung regiert eine Mischung aus Unerfahrenheit und Überheblichkeit – dazu ein Koalitionspartner, der sich diebisch freut, wenn der kleine Konkurrent um die Herzen der Jungen einfährt.
Der erste grüne Minister in Deutschland war einst in Hessen Joschka Fischer; seine Professionalität hat die Grünen dort erst wirklich regierungsfähig gemacht. Bei allen Erfolgen der heimischen Grünen in den Ländern – die wirkliche Nagelprobe ist in Wien.
Wenn Vassilakou so weiter wurschtelt wie bisher - und es gibt keine Anzeichen für Lernfähigkeit – dann ist nicht nur die so wünschenswerte Transformation der Stadt Wien in eine weitgehend autofreie Metropole (bzw. mit eingeschränktem Kfz-Verkehr) gefährdet. Dann sinken auch die Chancen der Grünen auf langfristigen politischen Einfluss im Land. (Eric Frey, derStandard.at, 1.9.2013)