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US-Kriegsschiffe im Mittelmeer wurden Richtung Syrien verlegt.

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In komplizierten Konfliktsituationen hatte mein weiser Vater stets diese Geschichte parat: Nach einer wüsten Schlägerei landet Moishe ziemlich ramponiert im Krankenhaus. Seine Freunde besuchen ihn, um ihn aufzuheitern und vor allem in Erfahrung zu bringen, was denn überhaupt geschehen ist. "Was ist passiert?", wollen sie wissen. Und Moishe antwortet: "Es hat alles damit begonnen, dass er zurückschlug!"

Jeder spricht dieser Tage über Syrien. Und je mehr Menschen ich zu dem Konflikt befrage, desto weniger habe ich den Eindruck, dass jemand eine Ahnung davon hat: Man weiß nicht, was dort vor sich geht, wer wer ist und was getan werden könnte. Dennoch hat jeder eine feste Meinung dazu. Im Nahen Osten bedeutet das: Weiß man nicht, was zu tun ist, gibt es Krieg. Einfach zurückschlagen - hilft es nicht, so schadet es nicht.

Aber ist das tatsächlich so?

Nachdem Bewertungen, Tests und Abstimmungen abgeschlossen sind, wird es losgehen. US- Piloten werden westlichen Armadas vorausfliegen. Aber trotz aller Vorbereitung werden sie sich sofort inmitten des syrischen Labyrinths wiederfinden - mit keinerlei Ausweg daraus. Denn jede Entscheidung und jede Aktion ist in der gegenwärtigen Situation ein Fehler. Wer nicht gegen die Verbrechen eines Staatschefs gegen seine Bürger und die Menschlichkeit vorgeht, begeht einen Fehler erster Ordnung. Andererseits sind Angriffe mit limitierten Kräften, die ihn (Bashar al-Assad, Anm.) auf dem Thron lassen, nicht minder falsch. Sein Sturz dagegen, ohne zu wissen, welche Scheusale ihm nachfolgen, ist ebenso nicht die intelligenteste Wahl. Kurzum: Wir alle haben ein Problem.

Syrien ist ein Mikrokosmos der gesamten Region. Das Konfliktfeld reicht von den Interessen kleiner Stämme bis zur Kollision aller regionalen und globalen Akteure: Russland und China gegen die USA und Großbritannien, Israel, den Iran, den Irak und den Rest des Westens. Jede Macht hat dabei einiges zu gewinnen und viel zu verlieren in jedem Szenario, das derzeit in den War Rooms der Welt diskutiert wird. Währenddessen, so scheint es, findet sich keine zwingende internationale Formel zur Lösung des Konflikts.

Wo ist die Exitstrategie?

In Kriegen muss es wie im Geschäftsleben eine profitable Exitstrategie geben. Kriege, bei denen die Initiatoren bloß einen Einmarsch-, aber keine Abzugsplan haben, sind eine sichere Einladung in die Katastrophe. Fragen Sie die Amerikaner nach Vietnam, dem Irak oder Afghanistan. Auch die Russen dürften etwas zu Afghanistan zu sagen heben, genauso wie Israel zum Westjordanland.

Deshalb ist der vordinglichste Rat an Präsidenten und Premierminister, die heute entscheiden müssen, folgender: Es ist besser, einen Preis für das Nichtstun zu zahlen, als einen Preis für die falsche Tat. Die mörderische Tötungsmaschinerie eines Tyrannen kann nicht durch klinische Schläge einer demokratischen Koalition gestoppt werden. Den Opfern ist es einerlei, wie sie sterben - durch Gas oder Kugeln, durch Folter oder Misshandlung. Solange die neue Kampagne nicht tatsächlich das Massaker beendet, sollte sie gar nicht erst begonnen werden.

In dieser beschämenden Realität ist es unmöglich, Erfolge zu erreichen. Bestenfalls lässt sich Schaden reduzieren. Syrien zerfällt, und das wahre Dilemma zwischen all den Rauchschwaden ist die Frage, wer von seinen Überresten am meisten profitieren wird? Das Interesse des Westens ist es, die säkularen Kräfte zu stärken und ihnen mehr Einfluss zu verschaffen. Dabei ist es alles andere als klar, ob hier nach dem Konflikt oder überhaupt eine Demokratie nach westlichem Vorbild errichtet werden wird. Gibt es genügend positive Faktoren, dann können diese zumindest mit dem Wiederaufbau und der Versöhnung in Syrien beginnen.

Allianz mit Sunniten und Schiiten schmieden

Obama, Cameron und Hollande sollten deshalb niemals alleine intervenieren. Westliche Kreuzfahrer hat die Gegend schon genug gesehen. Der Westen sollte vielmehr eine Allianz mit sunnitischen und schiitischen Partnern schmieden, die den radikalen politischen Islam ablehnen. Gemeinsam sollten sie als überkonfessionelles Bündnis in Syrien anlanden. Die Botschaft dieser Allianz muss präzise sein: Chemiewaffen sind keine Ausrede. Unser Interventionsgrund ist, das Blutbad zu beenden und religiöse Fanatiker aus dem gepeinigten Syrien hinauszuwerfen.

Auf dem Weg in den blutenden Nahen Osten darf auch nicht damit aufgehört werden, Einfluss auf Russland auszuüben. So hart Erfolge in Moskau zu erzielen sind, so sehr können diese auf den Straßen von Damaskus Leben retten. Ebenso darf nicht gezögert werden, das Augenmerk auf die Hisbollah zu richten.

Das Wichtigste aber ist die Botschaft an das Weiße Haus: Nicht schon wieder eine dieser Reden! Wir hatten genug davon, und seht her, wo wir gelandet sind. Wenn Sie, Mister President, tatsächlich den Drang verspüren, etwas zu unternehmen und, wie andere auch, nicht wissen, was, dann ist es eher ratsam, sich einen weiteren Portugiesischen Wasserhund zuzulegen, statt eine neue tödliche Nachricht auf die Straßen des Todes in dieser Region zu senden.  (Avraham Burg, DER STANDARD, 31.8.2013)