Android hat in den letzten Jahren den Markt erobert, jetzt kann Google den Fokus wieder auf die eigentliche Strategie legen: Die eigenen Services zu verbreiten.

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"Smartphones, Tablets, Laptops und Fernseher - unsere Nutzer leben längst in einer Multi-Bildschirm-Welt" - so Googles Sundar Pichai unlängst bei der Präsentation des neuen Nexus 7. Ein Befund, der offensichtlich erscheint, gleichzeitig aber auch stellvertretend für einen grundlegenden Wandel bei dem Softwarehersteller selbst steht. Hat Google diese Perspektive in der Ära von CEO Larry Page, der die Leitung des Unternehmens vor rund zwei Jahren übernommen hat, doch wie kaum ein anderes Unternehmen verinnerlicht - und entsprechende strategische Anpassung vorgenommen.

Irrelevant

Wo vor 1-2 Jahren noch Android mit aller Kraft beworben wurde, heißt es nun "Betriebssysteme sind irrelevant", wie es Googles-Vizepräsident Vic Gundotra Mitte Mai im Rahmen der Google I/O auf den Punkt brachte. Statt dessen gehe es um eine einheitliche Nutzungserfahrung über alle Geräte hinweg, sollte sein Kollege Sundar Pichai einige Wochen später ergänzen. Eine Richtungsvorgabe aus berufenem Munde, steht doch Pichai selbst wie kein Zweiter für diesen Wechsel.

Kombination

Seit Jahren für den Browser Chrome und das Betriebssystem Chrome OS zuständig, hat Pichai vor einigen Monaten zusätzlich die Android-Agenden übernommen. Was so manche BeobachterInnen damals noch für eine Übergangslösung hielten, war in Wirklichkeit eine klare Richtungsvorgabe. Statt  Android und Chrome (OS) sollen zunehmend die Google-eigenen Services betont werden, die für eine nahtlose Verschränkung all dieser Plattformen sorgen sollen.

Zukunftsperspektive

Die Zukunft, wie sie Google vorschwebt, sieht dann so aus. Wer eine interessante Anwendung findet, soll diese mit einem Klick auf alle seine Geräte spielen können, egal ob dort nun Android, Windows, Linux oder Mac OS X läuft. Solange nur überall der Browser Chrome zu finden ist, den Google nach und nach als zweite Anwendungsplattform neben Android aufbaut - und zwar auf Perspektive nicht nur am Desktop sondern auch auf mobilen Geräten. Alles natürlich automatisch mittels einer zentralen Google-Identität authentifiziert und laufend synchronisiert, so dass der Wechsel zwischen verschiedenen Geräten immer nahtlos erfolgt.

Chromecast

Ein gutes Beispiel für Googles verstärkte Konzentration auf Services statt auf Plattformen ist das vor kurzem vorgestellte Chromecast. Der HDMI-Stick lässt sich sowohl via Android und iOS als auch über den Browser mit Inhalten beliefern. Dass das Gerät so heißt wie es heißt, obwohl unter der Haube ein (stark) modifiziertes Android läuft, darf übrigens durchaus als Hinweis darauf verstanden werden, welche Marke - aber auch Entwicklungsrichtung - Google in Zukunft bevorzugt eher forcieren wird: Chrome.

Mission Android: Erfüllt

So wird Android zunehmend zu einem Implementationsdetail, wie es die Betriebssysteme anderer Hersteller für Google schon immer waren. Dass dem so ist, ist ironischerweise dem großen Erfolg von Android selbst zu verdanken.  Android war von Anfang an ein Vehikel, um zu verhindern, dass ein einzelner Hersteller den Mobilbereich und dessen Anwendungsplattform alleine kontrollieren kann, wie es Microsoft mit Windows über Jahre gelungen ist. Diese Mission kann als erfolgreich angesehen werden: Sowohl bei Smartphones als auch bei Tablets ist Android mittlerweile die Nummer 1, dies als Plattform, die frei zur Verfügung steht, und so von vielen verschiedenen Herstellern genutzt werden kann.

Nachgeschärft

Ganz neu ist dieser Ansatz natürlich nicht, vielmehr kann man die aktuellen Änderungen als eine Art Refokussierung betrachten. Immerhin war Google schon immer ein "horizontales Unternehmen", das sein Geld über Services - beziehungsweise über die Auslieferung von Werbung an diese - macht. Ganz im Gegenteil zu Apple, das vor allem vom klassischen Hardwareverkauf lebt. Daraus erklärt sich auch, warum Google Android gegenüber Apples iOS kaum bevorzugt, so manche neue App-Version sogar bei der Konkurrenz ihr Debüt gibt. Und warum Google die eigene Hardware - wie das Tablet Nexus 7 - so kostengünstig anbietet: Weil man damit neue NutzerInnen gewinnen will, aber nicht die direkten Einnahmen benötigt.

Prognose

Aus dem Gesagten zu schließen, dass sich Google in näherer Zukunft von Android verabschiedet, wäre natürlich verfehlt. Immerhin ist das mobile Betriebssystem zumindest derzeit noch das optimale Umfeld für die Google-Angebote, nirgendwo hat man ähnliche Möglichkeiten auf die Plattform Einfluss zu nehmen. Allerdings ist davon auszugehen, dass Android immer weiter in den Hintergrund gedrängt wird. Dies gleich in mehrerer Hinsicht: Einerseits indem Chrome in zunehmendem Ausmaß als Anwendungsplattform forciert wird, aber auch in Bezug auf die Art, wie Google Betriebssystem-Updates schnürt.

Unabhängigkeit

Viele der wirklich großen, sichtbaren Verbesserungen werden künftig statt in neuen Android-Versionen in getrennten App-Updates stattfinden, und das natürlich im Konzert mit anderen Plattformen. Genau genommen hat dieser Wechsel eigentlich schon stattgefunden: Dass etwa in Android 4.3 Google Keep hinzugefügt wurde, war im besten Fall eine Randnotiz, da die App schon Monate zuvor parallel zur Web-Version vorgestellt wurde. Ähnlich war es mit der Google-Hangouts-App.

Plattform ist Plattform

Die Herauslösung der eigenen Apps aus den großen Android-Updates hat Google in den letzten Jahren konsequent vorangetrieben. Dies geht mittlerweile so weit, dass selbst Infrastrukturkomponenten über den Play Store aktualisiert werden. Damit bleibt für die klassischen Betriebssystem-Updates immer weniger übrig. Klar wird es irgendwann wieder den einen oder anderen zentralen Umbau an den Nutzungsprinzipien von Android und deren visueller Repräsentation geben, ansonsten werden sich neue Android-Versionen künftig aber vor allem um Verbesserungen an der Infrastruktur und um neue APIs kümmern. So wie es auch schon bei Android 4.3 der Fall war, das nur wenige wirklich "sichtbare" Änderungen mit sich brachte.

Erfreuliche Nebeneffekte

Diese Herangehensweise hat für Google aber noch einen anderen Vorteil: Die seit Jahren kritisierte "Fragmentierung" von Android durch langsame Betriebssystem-Updates tritt immer stärker in den Hintergrund. Ganz im Gegenteil kann Google mittlerweile weite Teile seines Systems schneller aktualisieren als es der Konkurrenz von Apple mit den klassischen, großen Updates möglich ist. Erst vor kurzem hat Google dies eindrucksvoll unter Beweis gestellt: So wurde der Android Device Manager bei allen halbwegs aktuellen Geräten nachgerüstet, über den verlorene Gerät aufgespürt und gelöscht werden können.

Play Services

Möglich machen dies die Google Play Services, in die in den letzten Monaten immer mehr Funktionen ausgelagert wurden, und die über den Play Store automatisch aktualisiert werden. Dies birgt den Vorteil, dass die entsprechenden APIs auf allen Geräten ab Android 2.2 immer auf dem gleichen Stand sind.

Mächtig

Nicht verschwiegen sei allerdings auch ein weiteres Merkmal der Play Services: Diese sind nämlich keineswegs freie Software. So werkt also längst auf jedem Android-Gerät ein großes, undurchsichtiges Binärpaket mit beinahe uneingeschränkten Berechtigungen. Mit dem gerne in Zusammenhang mit Android betonten Open-Source-Gedanken hat das alles nur mehr sehr wenig zu tun.

Kritik

Es ist davon auszugehen, dass die aktuelle Strategieanpassung - weg von der Marke Android - auch intern längst nicht bei allen auf uneingeschränkte Begeisterung gestoßen ist. Wer will kann hier durchaus über die zeitliche Koinzidenz mit dem Abgang von Android-Gründer Andy Rubin sinnieren. Auch hat Google in der letzten Zeit sicher durch die stärkere Konzentration auf einzelne Services, und das Abdrehen vieler Nebenprojekte einiges von der "Buntheit" früherer Jahre verloren, und so manche NutzerInnen vor den Kopf gestoßen.

Positionierung

Trotzdem bleibt der Fakt, dass Google aktuell strategisch wahrscheinlich besser aufgestellt ist als je zuvor. Und worauf der von Google so gerne als Ziel genannte "Star Trek Computer" in der Hosentasche schlussendlich läuft, ist aus Sicht der KonsumentInnen tatsächlich zweitrangig. (Andreas Proschofsky, derStandard.at, 16.09.13)