Michael Ende hat mit "Momo" vor vier Jahrzehnten ein Kinderbuch vorgelegt, das längst kanonisch ist - Nun erscheint eine Jubiläumsausgabe im neuen Design

Den Buchumschlag der Jubiläumsausgabe ziert der gewölbte braune Panzer einer Schildkröte. Aus diesem Panzer ist das Wort "Momo" gestanzt, das satte Gelb des Hardcovers leuchtet durch die entstandenen Löcher. Die Schildkröte auf der "neuen Momo" passt natürlich gut zum Roman, der bemerkenswerte 40 Jahre auf dem Buckel hat. Erwachsenen Menschen, die meinen, das Buch erst gestern gelesen zu haben, bestätigt sich also Momos zentrale These: Zeit ist kostbar. Denn sie vergeht eher schnell als langsam.

Gemach, gemach

"Momo" erscheint erstmals am 1. September 1973 im Thienemann-Verlag, Michael Ende erhält im Jahr darauf den Deutschen Jugendbuchpreis. Die Jury lobt "Momo" damals als soziale Utopie, "die Anreize für Änderungen im eigenen Verhalten und für die Änderung realer Verhältnisse" gebe. Ende lade ein zur "Überprüfung des gegenwärtigen Zeitbildes, das von dem Satz 'Zeit ist Geld' bestimmt ist". Seither wurde "Momo" mehrfach ausgezeichnet, in 46 Sprachen übersetzt, weltweit über zehn Millionen Mal verkauft und zweimal verfilmt.

Das Thema des Buches ist zeitlos und zeitgemäß zugleich: Momo, das weise Mädchen mit den Wuschelhaaren, wächst ohne Eltern auf und lebt in ihrer Fantasiewelt. Dort regieren Freude und Freundschaft. Momo schenkt anderen Menschen Zeit, sie hört ihnen zu, ohne Bedingungen zu stellen, lässt ihnen Raum und träumt mit ihnen. Das ist die Grundlage ihres Seins. Bis die "grauen Herren" auftauchen und die Regeln ändern wollen.

Diese Herren sind fahlgesichtige Koffer- und Anzugträger, spaßbefreite Schreibtischtäter, ein typologisches Amalgam aus Bankern und Beamten. Sie fahren meist mit einem grauen Mercedes vor, damals Prototyp der feisten Kapitalistenkutsche. Sie paffen ständig dicke Zigarren, predigen Tempo, Konsum und Effizienz und wollen alles tilgen, was bunt, anarchisch, träumerisch oder Selbstzweck ist.

Lesen gegen die Beschleunigung

Michael Endes Kapitalismuskritik war freilich schon damals nicht gerade subtil. Die deutsche Indie-Truppe Tocotronic inspirierte der Autor gar zu einer bösen Anti-Hymne mit dem Titel "Michael Ende, du hast mein Leben zerstört". Man könnte die Nummer wohl als Forderung eines Rechts auf Oberflächlichkeit verstehen: Es muss bitte nicht immer alles pädagogisch wertvoll sein. Es muss bitte blöd Fernsehen ohne schlechtes Gewissen möglich sein. Auch für nichtgeimpfte Waldorfkinder.

Der Roman "Momo" klingt wie ein Lied von Reinhard Mey und fühlt sich an wie ein Haus von Hundertwasser. An diesem Buch ist alles freundlich, kreativ, einfühlsam und richtig. Es menschelt bis zum Abwinken. Das muss man nicht mögen dürfen. Das darf einem oder einer zu viel sein. Trotzdem hat die Botschaft des Buches heute wohl mehr Berechtigung denn je. Und für Heranwachsende funktioniert der Text immer noch prächtig. Millionen Kinder können nicht irren. (Lisa Mayr, derStandard.at, 1.9.2013)

 

Der Thienemann-Verlag hat anlässlich des Momo-Jubiläums fünf Buchgestalterinnen und -gestalter in einem Wettbewerb mit Coverideen antreten lassen. Das Rennen machte schließlich das Büro Johannes Erler mit dem Schildkröten-Design. Wir zeigen sämtliche Entwürfe als Ansichtssache.

Der Siegerentwurf aus dem Büro Johannes Erler.

Foto: Erler Skibbe Tönsmann/Thienemann Verlag
Foto:

Entwurf von Mario Lombardo.

Foto: Mario Lombardo

Entwurf von Katrin Schacke.

Foto: Katrin Schacke/Thienemann Verlag

Entwurf von Christina Föllmer.

Foto: Christina Föllmer

Entwurf von Christine Klell.

Foto: Christine Klell