Für die meisten Beobachter ist die Nationalratswahl 2013 eine ausgemachte Sache. Die Umfragen zeigen seit Monaten ein stabiles Bild: SPÖ klar vor ÖVP und gemeinsam knapp, aber solide über der 50-Prozent-Marke, die über das Überleben ihrer Koalition entscheidet. Am 29. September wird gewählt, ab dem 30. kann dann "Werner Spindelegger" (Versprecher von Meinungsforscher Wolfgang Bachmayer) weiterregieren.

Aber ist es wirklich so? Der Unmut in der Bevölkerung über die Leistung der Regierung ist gewaltig, und manchmal wird eine Stimmung in Umfragen nicht voll eingefangen, weil die Menschen noch nicht sicher sind, welche persönlichen Konsequenzen sie daraus ziehen sollen.

Aber alle Umfragen zeigen auch, dass die große Mehrheit die bestehende Koalition nicht mag und auch weder Werner Faymann noch Michael Spindelegger als Kanzler sehen wollen. Werden dennoch genügend Wähler zur Urne gehen und das Kreuzerl bei SPÖ oder ÖVP machen?

Fragiles Kartenhaus

Die jüngsten Enthüllungen über mutmaßliche Geldflüsse der Telekom Austria an die Großparteien könnten dieses fragile Kartenhaus zum Einsturz bringen. Die "News" zugespielten Details der Ermittlungen sagen nichts wirklich Neues. Aber sie reflektieren einen Zustand der Korrumpierung, der in den 2000er-Jahren offenbar üblich war und der zwar vor allem Schwarz-Blau, aber auch die SPÖ betroffen hat.

Selbst wenn sich hier niemand selbst bereichert hat, sondern mit den Geldern aus staatsnahen Unternehmen Wahlkämpfe finanziert wurden, lösen solche Berichte bei vielen Menschen Ekel aus. Und der Korruptionsverdacht ist vor allem eine Quelle der Politikverdrossenheit - ein starkes Motiv, erst gar nicht zur Wahl zu gehen.

Mehrheit futsch

Das könnte spielentscheidend sein. Die Nationalratswahl ist vor allem ein Kampf um die Mobilisierung der eigenen Wählerschaft. Wenn mehr SP- und VP-Wähler zu Hause bleiben, weil sie diese "Bagasch" nicht wählen wollen, die Oppositionsparteien aber bei ihren Anhängern weniger Unmut verspüren, dann könnte das den Ausschlag geben: Die FPÖ käme deutlich über 20 Prozent, die Grünen auf zumindest 15 Prozent, Team Stronach auf gute zehn Prozent - und schon haben die drei Parteien zusammen mehr als die Regierungskoalition. Futsch ist deren Mehrheit nach Stimmen und Mandaten.

Wie dann das Land eine stabile und kompetente Regierung erhalten soll, steht in den Sternen. Denn eine Dreierkoalition mit den Grünen würde sofort an einer miserablen Gruppendynamik leiden: eine linke Mehrheit in der Regierung, daneben eine frustrierte ÖVP, die dann an unanständige Alternativen denkt - oder gar mit ihnen droht.

Und alle anderen Kombinationen - Rot-Schwarz-Stronach, Schwarz-Grün-Stronach und Schwarz-Blau-Stronach - schwanken zwischen skurril und bedrohlich.

Vielleicht schaffen es die Neos ins Parlament und werden zu vernünftigen Mehrheitsbeschaffern. Aber sehr wahrscheinlich ist das nicht.

Eigentlich müssten Faymann und Spindelegger gemeinsam auftreten und die Wähler beschwören, einen der beiden zu wählen - egal wen. Stattdessen liefern sie sich ein Duell, in dem es wegen unklarer inhaltlicher Unterschiede nur um die Frage geht, wer Kanzler wird (und das eigentlich auch nicht, denn Spindelegger ist chancenlos).

Aber Pseudoduelle wie das auf Puls 4 am vergangenen Montag wirken auf viele Wähler zusätzlich abschreckend.

Voraussagen sind immer schwierig. Aber die derzeitige Gelassenheit der meisten politischen Beobachter könnte sich als trügerisch erweisen. Österreichs Politik erwartet am 29. September vielleicht eine völlig neue, nie da gewesene Situation - und eine, die Unsicherheit und Instabilität mit sich zu bringen droht. (Eric Frey, derStandard.at, 29.8.2013)