In der Nahaufnahme erinnern frische Kapern am Strauch verblüffend an Pfingstrosen vor der Entfaltung. Tatsächlich aber sind die als besonders fein geltenden "nonpareilles"-Kapern kaum größer als ein Stecknadelkopf.

Foto: Georges Desrues

Der Wind lässt auf Pantelleria Landbau nur hinter schützenden Mauern zu. Da siedeln sich gern Kapernsträucher an.

Foto: Georges Desrues
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Für Kapernbauern wie Giovanbattista Belvidis sind die kleinen Knospen nur eingesalzen eine Delikatesse – "in Essig eingelegt schmecken sie vulgär".

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Auf Pantelleria scheint alles in Deckung zu gehen. Es ducken sich die Olivenbäume, die hier nicht höher als einen Meter werden. Es kauern die niedrigen Weinreben in kleinen Mulden, in die sie gepflanzt sind. Es verschanzen sich die Kapernsträucher hinter schwarzen Mäuerchen aus Lavastein, die Weingärten und Olivenhaine abschirmen. "Schuld ist der Wind", sagt Giovanbattista Belvidis und bückt sich, um ein paar Kapernknospen zu pflücken. "Alles, was zu hoch in den Himmel ragt, zerfetzt der Wind", sagt er und lässt die Blütenknospen in einen Kübel kullern.

Ja, der berüchtigte Wind; vermutlich so einer, wie er heute Nacht über die Insel gefegt ist, mit einer Wucht, als könne er die Steinhäuschen über die Klippen ins Meer blasen. So ein Wind, richtig? "Heute Nacht?", wiederholt Belvidis und richtet sich mit fragendem Blick auf. Dann lacht er. "Nein, nein, das heute Nacht, das war doch noch gar nichts", sagt er. Und überhaupt sei das doch bloß der kühlere Nordwind gewesen - und nicht der brennheiße Schirokko, der wieder und wieder aus der Sahara kommt und die kleine italienische Insel vor der Küste Afrikas mit gnadenloser Wucht peitscht.

Man nähert sich in gebückter Haltung

Den Wind trägt Pantelleria schon im Namen, den ihr einst die Araber gegeben haben, und er bedeutet "Tochter der Winde". Zwar macht er jegliche Art von Anbau schwer, andererseits aber ist die schwarze Lavaerde hier äußerst fruchtbar. Und so wachsen auf der Vulkaninsel zwei Pflanzen, auf die die Panteschi (gesprochen: Panteski), wie die Einwohner heißen, ganz besonders stolz sind: der Wein, aus dem sie den Süßwein Passito machen. Und die Kapern, die von hier nach ganz Italien verschifft werden und als die besten des Landes gelten.

"Die besten sind sie ganz ohne Zweifel", sagt Belvidis und stellt seinen Kübel eine Pflanze weiter ab, "nur muss man sich bücken, um sie zu pflücken - aber die Jungen wollen sich nicht mehr bücken." Er und seine Frau Rosanna aber bücken sich, und das schon seit sie Kinder waren, jedes Jahr im Sommer, wenn die Sträucher Blüten tragen. "Nach acht, zehn Tagen blühen sie wieder und können aufs Neue geerntet werden", sagt Signora Belvidis. Und natürlich seien die hiesigen nicht die einzig guten, fügt sie an, jene aus Salina, einer Insel im Norden Siziliens, schmeckten wohl genauso gut. Ja, sagt ihr Mann, die Kapern aus Salina seien wohl auch gut, nicht aber so gut wie unsere. Und damit basta.

Frisch schmecken sie bitter

Die Ernte bringen die beiden auf ihren Hof, legen sie in Fässer mit Meersalz ein, damit sie ihr Wasser verlieren, in der Lake reifen und Senföl ausstoßen, wodurch sie erst genießbar werden. "Frisch schmecken sie bitter und bleiben zäh", sagt Herr Belvidis. Nach zehn Tagen in der Salzlake und täglichem Umrühren fährt er seine Ernte zur lokalen Kooperative am anderen Ende der Insel. Dort werden die Knospen erst einmal gewaschen, ausgesiebt und nach Größe sortiert.

"Umso kleiner die Knospen, desto höher der Preis", sagt der Leiter der Kooperative, ein Herr mit Namen Rosario Cappadona, "die allerkleinsten nennen die Franzosen 'nonpareilles', was 'die Unvergleichlichen' bedeutet, wegen ihres einzigartigen Geschmacks und der feinen Konsistenz. Am besten sind sie zu rohem Fisch oder Fleisch und im Salat."

Signore Belvidis indes zuckt mit den Schultern. "Mir sind die mittelgroßen zwar lieber, aber natürlich bedeuten die kleinen mehr Arbeit, also sollen sie auch mehr bringen", sagt er. Und dann gibt es noch die Kapernbeeren, die in manchen Ländern auch Kapernäpfel genannt werden - in Sachen Ausdruck und Intensität aber können diese ausgereiften Früchte nicht im Mindesten mit den Knospen mithalten, so Cappadona.

Nur schlechte Qualität endet im Essig

Nach dem Sortieren werden die Kapern wieder mit frischem, grobem Salz gemischt und für weitere zehn Tage gelagert, bevor sie reif sind für den Verkauf. "Es muss Meersalz und nicht Steinsalz sein", betont Cappadona, "das Meersalz konserviert sie und lässt sich viel leichter abwaschen." Und dann gibt's doch auch noch den Essig, in den man sie einlegen kann, oder? "Essig?", wiederholt Cappadona und macht ein Gesicht, als habe er gerade ein Glas davon trinken müssen. "Essig eignet sich nicht für Kapern, so etwas macht nur die Industrie, um die schlechtere Qualität zu verdecken."

Spätestens seit Ende der 1980er-Jahre ist man hier auf die Lebensmittelindustrie nicht gut zu sprechen. Damals hat Europa den Markt geöffnet, worauf es von Billigkapern aus Niedriglohnländern überschwemmt wurde. "Wir blieben auf Unmengen Kapern sitzen, bis wir beschlossen, alles selbst zu verarbeiten, nur noch auf Handarbeit und Qualität zu setzen und uns mit der Industrie nie wieder einzulassen", erzählt Cappadona.

Während 1985 noch 1200 Tonnen auf der Insel erzeugt wurden, waren es im Vorjahr nur 100 Tonnen. Und was ist es, das die hiesigen Kapern so besonders macht? "Zum einen das trockene Klima, die fruchtbare Vulkanerde", sagt Cappadona, "und zum anderen der jahrhundertelange Anbau, durch den sich eine spezielle Unterart des Kapernstrauches entwickelt hat."

Giovanbattista Belvidis packt noch ein paar Säcke Meersalz auf seinen Fiat und beginnt die Heimfahrt. Die geht über den Berg, vorbei an ummauerten Zitronenhainen, an geduckten Olivenbäumen und vergrabenen Weinreben. Plötzlich reißt eine mächtige Windbö den kleinen Fiat fast von der Straße. Belvidis lächelt nur milde und schüttelt den Kopf. "Ich weiß schon, was Sie denken", sagt er, "aber nein: Auch das ist kein Schirokko, bestenfalls eine kleine Brise aus dem Norden." (Georges Desrues, Rondo, DER STANDARD, 30.9.2013)