Beibehaltung des Ursprungskonzepts von Edward Steichen: Die überbordende Ausstellung "The Family of Man", nun dauerhaft im Schloss von Clervaux in Luxemburg.

Foto: CNA / Romain Girtgen

Wie nähert man sich einer Ausstellung, der das Prädikat "legendär" anhaftet? Die man betritt wie einen Tempel und eine Zeitkapsel; die man sich anschaut wie ein Magazin, wie ein Völkerkundemuseum und wie ein Familienalbum; die den Betrachter offen-naiv belehren will und die zugleich zum Weltdokumentenerbe der Unesco erklärt wurde; die bereits zehn Millionen Menschen gesehen haben und die trotzdem noch für viele ein Geheimtipp ist.

Am besten mit Respekt, natürlich. Aber auch mit dem Herzen. Denn genau darum ging es Edward Steichen, als er als Fotografiedirektor des Museum of Modern Art (Moma) in New York Ende der 1940er-Jahre mit der Planung für eine Ausstellung begann, mit der er die Welt zu einem besseren Ort machen wollte - und die nun in dem luxemburgischen Städtchen Clervaux als Dauerausstellung wiedereröffnet wurde.

Universelle Sprache

Steichen (1879-1973) glaubte an eine universelle Sprache der Fotografie und wollte mit ihrer Hilfe das Verständnis zwischen den Menschen fördern. The Family of Man versteht sich daher als Manifest für den Frieden und die fundamentale Gleichheit aller Menschen. Die eingereichten Bilder mussten deshalb ein humanistisches Menschenbild vermitteln und frei von Propaganda für oder gegen jede Art von politischer Ideologie sein. Gemeinsam mit seinem Assistenten, dem im Mai 2013 verstorbenen Fotografen Wayne Miller, und weiteren vier Mitarbeitern wählte Steichen aus insgesamt vier Millionen Bildern zunächst 10.000 und in einem zweiten Schritt die finalen 503 Fotografien aus, die sie schließlich 1955 im Moma zeigten. Die Bilder stammen von 273 Fotografen aus 68 Ländern.

Dass Steichen eine so ungewöhnlich große Auswahl hatte, lag daran, dass Wayne Miller Zugang zu den Archiven des Life-Magazins und der Agentur Magnum hatte. Entsprechend präsent sind auch deren Fotografen in der Ausstellung: Elliott Erwitt, Eve Arnold, Henri Cartier-Bresson, Robert Capa, David Seymour, Ernst Haas und Werner Bischof sind ebenso dabei wie Alfred Eisenstaedt, Margaret Bourke-White, W. Eugene Smith und Andreas Feininger, aber auch Ikonen wie August Sander, Dorothea Lange, Garry Winogrand, Herbert List, Robert Frank, Irving Penn, Ed van der Elsken und Robert Doisneau finden sich unter den Ausgestellten.

Der Erfolg war riesig: Nach der Schau im Moma reiste The Family of Man sieben Jahre lang um die Welt und wurde in 150 Museen auf vier Kontinenten gezeigt. Um das Ganze überhaupt schultern zu können, gab es zehn Versionen der Ausstellung, die nach einem von Steichen entworfenen Muster aufgebaut werden mussten. Unter anderem hatte er 37 Themenkapitel wie Geburt, Liebe, Hochzeit, Familie, Arbeit, Kinder, Freizeit, Kultur, Glaube und Tod festgelegt und diese so inszeniert, dass der Betrachter wie durch einen fotografischen Essay spazierte.

Offensichtliche Botschaft

Er wollte möglichst viele Aspekte des Lebens abbilden und zeigte deshalb auch unterschiedliche kulturelle Varianten der gleichen Zeremonien und Rituale, aber auch Freizeitvergnügen und kindliche Spielereien. Die Botschaft dahinter war offensichtlich: Alle Menschen sind gleich - also hört endlich auf, euch die Köpfe einzuschlagen. Subtil ging es dabei eher selten zu - Steichen wollte verstanden werden, in den USA genauso wie in Europa, Asien und Afrika: Er zeigte Liebespaare beim Küssen, sich Umarmen und auf der Wiese liegen, Hochzeitsbräuche, Schwangerschaften und sogar das spektakuläre Bild eines Neugeborenen. Es stammt von Wayne Miller, der die Geburt seines Sohnes fotografierte. Es befindet sich auf den beiden goldenen Schallplatten an Bord der Raumsonden Voyager I und II - in der Hoffnung, dass sie einmal in fernen Galaxien entdeckt werden. Der Begriff der "universellen Bildsprache" bekommt in diesem Zusammenhang also noch eine ganz andere Bedeutung.

Der Erfolg der Wanderausstellungen bewog Steichen schließlich dazu, The Family of Man auch dauerhaft zu präsentierten: Er wünschte sich dafür das Schloss von Clervaux in seinem Geburtsland Luxemburg. 1966 kamen die USA diesem Wunsch nach und schenkten die letzte zusammenhängende Version der Ausstellung dem Großherzogtum, wo sie ab 1994 präsentiert wurde.

Zeitgenössische Präsentation

Bis zum September 2010. Da wurde es Zeit für eine dringende Restaurierung der Exponate, die teilweise sichtbare Blessuren von den vielen Reisen davongetragen haben. Aber auch das Schloss Clervaux selbst wurde kernsaniert - für die jetzige Kuratorin Anke Reitz ein Glücksfall, denn so konnte das Gebäude der Ausstellung in weiten Teilen angepasst werden, davor war es eher umgekehrt. Diese Freiheit macht sich nun bezahlt: Reitz schafft den Spagat zwischen einer zeitgenössischen Präsentation und der Beibehaltung des Ursprungskonzepts. Der Parcours und die Chronologie der Bilder wurden beibehalten und entsprechen der Originalinszenierung aus dem Moma.

Die Optimierungen (unter anderem wurden Boden- und Wandflächen wesentlich ruhiger gestaltet) wirken auf den ersten Blick unspektakulär, sind aber, verglichen mit der bisherigen Präsentation, eine Wohltat für die Augen. Seit der "Uraufführung" vor 58 Jahren dürfte The Family of Man nie wieder so sehr nach The Family of Man ausgesehen haben wie jetzt. Die Zeitreise kann beginnen. (Damian Zimmermann, DER STANDARD, 28.8.2013)