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Das Ensemble Musikfabrik bewandert und bespielt die Instrumentenlandschaft aus Harry Partchs "The Delusion of the Fury" - bei der Eröffnung der Ruhrtriennale in der Jahrhunderthalle Bochum. 

Foto: EPA/CAROLINE SEIDEL

Ein Arsenal bizarrer Instrumente beherrscht die Bühne, fast alle aus Holz oder Glas. Sie tragen Namen wie "Flaschenkürbisbaum" oder "Kriegsbeute", manche aus Radkappen oder Bourbonflaschen gebaut, dazwischen riesige Zupfinstrumente, die man auch als Puppentheater nützen könnte. Mit konventionellen Instrumenten wollte der amerikanische Komponist Harry Partch (1901-1974), elf Jahre älter als John Cage, nichts zu tun haben. Auch das europäische Tonsystem verwarf er und suchte in kleinsten Tonfärbungen nach einem eigenen neuen Klang.

Für die europäische Erstaufführung - 47 Jahre nach der Uraufführung in Kalifornien - sind die Instrumente in zwei Jahre langer Arbeit durch den Kölner Instrumentenbauer Thomas Meixner neu gebaut und ihre Spielweise vom Ensemble Musikfabrik in eigenen Workshops erarbeitet worden. Auf der Bühne der Jahrhunderthalle Bochum (Klaus Grünberg) sind die Instrumente wie Häuser eines Dorfes aufgestellt, dazwischen schlängelt sich ein Bach, der in einen Teich mündet, sein Wasser kann sich milchig weiß färben. Auf engen Wegen dazwischen bewegen sich die Musiker von Instrument zu Instrument, die Musik bringt sie zum Tanzen, manchmal singen sie.

Die Personen des Stücks agieren nur pantomimisch. Ihre Kostüme (Florence von Gerkan) sollen, so schreibt es Partch vor, "ein Gefühl von Magie und einer vergangenen Zeit vermitteln, aber niemals einer bestimmten vergangenen Zeit". Wie man Delusion of the Fury übersetzen soll, bleibt wie vieles ein Rätsel. "Wahn der Furie"? "Täuschung der Raserei"? Oder ist "Delusion of the Fury" Messliturgie? Auf einer Anzeigetafel werden in Heiner Goebbels' Inszenierung wie in der Kirche einzelne Teile angekündigt: "Sanctus" "Exordium" und zweimal "Gebet". Ein No-Spiel macht den Anfang. In fantastischen Kostümen ein Pilger, der um Sühne für einen Mord bittet und mit dem Geist des von ihm Ermordeten konfrontiert wird, dann nach einem Zwischenspiel ein afrikanisches Volksmärchen: Ein tauber Vagabund, der beschuldigt wird, ein Zicklein gestohlen zu haben. Im Dorffest zum Schluss wird gealbert und gerufen: "Wie konnten wir jemals ohne Justiz auskommen!"

So skurril die Instrumente erscheinen mögen: Partchs Musik - zwischen amerikanischer Minimal Music und meist exotisch-indianischen Klängen angesiedelt - ist durchaus eingängig. Dass er trotz aller avantgardistischer Experimente eher in der Popmusik bekannt ist, wundert nicht. Tom Waits oder Frank Zappa beziehen sich auf den in Europa vielfach unbekannten Komponisten. Delusion of the Fury, in den Wüsten Kaliforniens entstanden, erweist sich in seiner Opposition zum traditionellen Konzertbetrieb vor allem als Kunstwerk der Hippie-Kultur der 60er- und 70er-Jahre.

Der gewaltige Aufwand der Rekonstruktion hat sich durchaus gelohnt. Heiner Goebbels, Intendant der Ruhrtriennale, ist seinem Programm treu geblieben, Musiktheater der Gegenwart als Installation zu zeigen, bei der die Musik und das Orchester Hauptakteure sind. Als nächste Premiere bei der Ruhrtriennale wird Robert Wilson Helmut Lachemanns Mädchen mit den Schwefelhölzern inszenieren. Mit Delusion of the Fury ist nun ein Anfang gemacht, den Aussteiger Partch in den Musikbetrieb rückzuholen. Die Musikinstrumente dafür stünden zur Verfügung. (Bernhard Doppler, DER STANDARD, 26.8.2013)