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Welches Format für die Texte darf es sein? Und wie wird die regenbogenfarbene edition suhrkamp künftig aussehen?

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Was mag Herr Bezos denn nur mit dieser Zeitung vorhaben?

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Notizen aus einer Zeit des Umbruchs.

Als am 11. Dezember 1946 die Zeitschrift Hörzu zum ersten Mal erschien, hatte Deutschland gerade erst den Volksempfänger hinter sich gebracht. Die Besatzungsmächte vergaben Rundfunk- und Presselizenzen, von einem Fernsehen konnte noch keine Rede sein. Die erste Ausgabe war zwölf Seiten dick, schwarz-weiß, und niemand hätte sich wohl vorstellen können, dass dieses Produkt fast 70 Jahre später eine "winning generation" ansprechen würde. So steht es in einem aktuellen Anzeigenprospekt für Hörzu, in dem auch hervorgehoben wird: "Die Heftoptik ist insgesamt opulent."

Vor knapp einem Monat gab die Axel Springer AG zum Erstaunen nahezu der ganzen Medienwelt bekannt, dass die Hörzu ab dem kommenden Jahr in der Funke-Mediengruppe (vormals WAZ-Gruppe) erscheinen wird, zusammen mit einer ganzen Reihe weiterer Zeitschriften und Tageszeitungen, darunter auch die Berliner Morgenpost. Doch es war der Verkauf der nach wie vor profitablen Hörzu, von dem die Signalwirkung ausging. Springer steigt aus den Printmedien aus: So wurde die Transaktion weithin interpretiert.

In einer radikal verunsicherten Medienwelt werden gegenwärtig alle diesbezüglichen Nachrichten stärker denn je auf ihre allgemeine Relevanz hin befragt. In den USA kauft Jeff Bezos, der Gründer von Amazon, die traditionsreiche Washington Post. Die New York Times, deren Digitalstrategie weltweit genauestens beobachtet wird, schreibt erstmals seit längerer Zeit wieder kleine Gewinne, hat allerdings den Boston Globe abgestoßen. Und auch in der benachbarten Verlagsbranche schaut man mit Argusaugen auf jede kleine Veränderung. Bei den Menschen, die Bücher drucken lassen, ist es die Suhrkamp-Saga, die dieses Jahr alle in Atem hält. Eigentlich handelt es sich dabei ja nur um einen erweiterten Erbschaftsstreit, doch geht es dabei auch um Grundsätzliches, nämlich um die Zukunft des Erfolgsmodells Buch und der damit verbundenen Kultur: einer Lesekultur, die gerade einem epochalen Medienwandel unterliegt.

Ein Versuch, auf alle diese verstreuten Ereignisse eine Perspektive zu entwickeln, ist selbst schon Produkt dieser veränderten Umstände. Denn es ist noch keine zwanzig Jahre her, da war es in einer Stadt wie Wien oder Berlin ein exzentrisches Unterfangen, gelegentlich für viel Geld (und mindestens einen Tag verspätet) das umfangreiche Konvolut zu erstehen, das die New York Times in ihrer Printausgabe am Wochenende auch heute immer noch ist. Die Washington Post war eine berühmte Zeitung, aus der internationale Korrespondenten häufig zitierten. Wer Philip Roth oder Don DeLillo im Original lesen wollte, brauchte Geduld und war auf spezialisierte Buchhändler angewiesen, und das Fernsehprogramm stand in der Zeitung (vollständig).

In der Gegenwart sieht die Sache so aus, dass der Spiegel über Jeff Bezos und die Washington Post eine Geschichte veröffentlicht, die im Wesentlichen einer viel besseren Geschichte im New Yorker nachgeschrieben ist, in der es darum ging, ob die Jungmogule aus dem Silicon Valley ihre Politikverdrossenheit überwinden könnten. Bezos ist der Mann hinter Amazon. Das Unternehmen ist aus dem Alltag der meisten Leute nicht mehr wegzudenken, auch wenn es sich dabei um einen ungeliebten Giganten handelt: Die Firma zahlt schlecht, höhlt die Buchpreisbindung aus und zahlt keine Steuern, so ließe sich das Image polemisch zuspitzen. Doch sie hat es geschafft, sich bis zu einem gewissen Grad alternativlos zu machen, wie das auch bei Google oder Facebook der Fall ist, allesamt Informationsmedien, die aber anders funktionieren als Tageszeitungen oder auch traditionellere Webseiten.

Was mag Bezos mit der Washington Post vorhaben? Da er selbst darauf nicht klar antwortet, geben andere die Antworten. Manche vermuten, es ginge ihm um politischen Einfluss in der amerikanischen Hauptstadt, andere sehen in ihm einen Innovator, der einer todgeweihten Zeitung noch einmal eine Chance einräumt. Bezos hat ausdrücklich nur die Washington Post gekauft und nicht die Firma Kaplan, mit deren Bildungsmedien die Verlegerfamilie Graham seit Jahren viel mehr Geld verdiente als mit der Zeitung, sodass der Verlag seit einiger Zeit als "education and media company" und nicht umgekehrt geführt wurde.

Das Modell, das dahinter erkennbar ist, war eines der Quersubvention: Eine Tageszeitung wie die Washington Post braucht einen profitablen Unternehmenszweig im Rücken, das Zeitungsgeschäft wird zu einer alimentierten Angelegenheit, branchenfremde Profite ermöglichen es, trotz sinkender Auflagen und Erträge weiterzumachen. Bezos hätte zweifellos ausreichend Geld, die Washington Post eine Weile auch einfach mäzenatisch zu betreiben. Doch damit würde er nur einen Sonderfall schaffen, während es doch viel interessanter ist, mit einer guten Kapitalreserve im Rücken den modellhaften Umbau eines Medienbetriebs zu versuchen, an dem zumindest der Markenname immer noch große Strahlkraft hat.

Bei dem deutschen Verlag Suhrkamp, der sich derzeit in einem komplizierten Insolvenzverfahren befindet, gibt es einen neuen Sachverhalt, der dem Einstieg von Bezos bei der Washington Post nicht ganz unähnlich ist: Sylvia und Ulrich Ströher, Erben des deutschen Kosmetikunternehmens Wella, haben sich bereiterklärt, während des schwebenden Verfahrens die Honorare der Suhrkamp-Autoren zu bezahlen. Auch hier ist auf den ersten Blick nicht ganz klar, ob das eher eine mäzenatische Angelegenheit ist oder ob ein Investment vorbereitet werden soll, das mit einer Beteiligung an Suhrkamp enden könnte.

Das Prestige, das mit dem Namen Suhrkamp einhergeht, ist mit dem der Washington Post durchaus vergleichbar, nicht von ungefähr spricht man von einer "Suhrkamp-Kultur". Da verwundert es nicht, wenn sich Leute engagieren, die auch Kunst sammeln und mit ihrer Vermögensverwaltung offensichtlich eine Art kuratorischer Tätigkeit verbinden. Auch hier rückt ein Traditionsunternehmen aus der Medienbranche wieder in einen Bereich zwischen Philanthropie und Geschäftssinn.

Bei dem Springer-Funke-Deal wiederum ist auffällig, dass die Tageszeitung Die Welt nicht enthalten ist. Das politisch als konservativ geltende Verlagshaus behält also seinen Qualitätsspitzentitel, obwohl dieser als kommerzielles Fass ohne Boden gilt und durch viele verlegerische Entscheidungen der letzten Jahre weiter an Substanz verloren hat. Vielleicht ist Die Welt schlicht unverkäuflich, vielleicht wollte Springer aber eben auch eine einschlägige Marke behalten, andernfalls wäre man endgültig als der Bild-Konzern dagestanden. Auch bei der größten deutschen Boulevardzeitung schrumpft die Auflage, dafür gibt es Versuche mit einer Bezahlschranke für Teile des Online-Angebots, neuerdings etwa auch für Zusammenfassungen von Fußballspielen.

Bis vor relativ kurzer Zeit waren die Verhältnisse, die für alle genannten Beispiele galten, mehr oder weniger klar: Wer eine Tageszeitung oder ein Magazin "hielt" (im Abonnement oder durch den Gewohnheitsgang zum Kiosk), bekam im Grunde regelmäßig eine Textmenge mit dem Umfang eines Buchs, das sich von vorne nach hinten oder von hinten nach vorne lesen ließ, das man nicht auslesen musste, das aber die Unendlichkeit des täglichen Geschehens auf ein begrenztes Format brachte. Wer eine Zeitung kaufte, kaufte gerade auch diese Begrenzung, denn die Lektüre entlastete bis zu einem gewissen Grad von der eigenen Navigation im offenen Informationszusammenhang.

Wer ein Buch las, schaltete einen Gang zurück und begab sich auf eine zweite Beobachtungsebene, von der aus sich Zeitungsmeldungen besser verstehen ließen. Heute hingegen hat sich das Element verselbstständigt, auf dem die Zeitung beruht und dessen ferner Verwandter der Buchtext ist: Der Artikel ist die maßgebliche Einheit geworden, und im Grunde laufen die Versuche aller Medienhäuser, vermutlich bald auch der Buchverlage, darauf hinaus, für Artikel eine Umgebung zu schaffen, die das alte Format Zeitung in das grenzenlose Format Internet überträgt. In Deutschland wird darüber seit einiger Zeit eine "Zeitungsdebatte" abgehalten, die sehr schön dokumentiert, dass platzmäßig unbeschränkte Meinungsproduktion keineswegs ein Mehr an guten Argumenten ergibt.

Da mit den neuen Märkten für Information im Netz gerade die widersprüchlichsten Erfahrungen gemacht werden, hält man sich an Traditionselementen fest. Dazu zählen zuerst einmal Namen. Namen haben einen Klang, sie bilden Markendächer, man kann sie an Portale schreiben, hinter denen dann vielleicht wieder Welten entstehen, die sich verlegerisch gestalten lassen. Die New York Times, das Wall Street Journal und die Financial Times, die drei englischsprachigen, globalen Spitzentitel, haben in dieser Hinsicht ihre Startvorteile allem Anschein nach genützt. Der größte dieser Vorteile ist die englische Sprache.

Sie ist derzeit noch die Einzige, die es erlaubt, sich an Kunden in aller Welt zu wenden. Deutsch oder Französisch sind im Vergleich dazu regionale Sprachen, Chinesisch und Arabisch auf andere Weise auch; allenfalls Spanisch hat noch einen transnationalen Reichweitenvorteil.

Wie man am Beispiel der New York Times sehr schön sehen kann, verändert sich in der digitalen Ausgabe der Begriff des Artikels in zweierlei Hinsicht: Er bekommt einen anderen Zeitfaktor, weil er beliebig oft aktualisiert werden kann; und er ist weniger stark textbasiert, als das traditionell der Fall war. Text und Bewegtbild wachsen zusammen. Doch das sind im Grunde nur handwerkliche Feinheiten, auf die sich Redaktionen mal schneller, mal langsamer einstellen werden. Das Prinzip, das dahinter steht, bleibt ein verlegerisches: Die New York Times, aber auch jedes andere Medienunternehmen, das sich gerade im Netz neu aufzustellen versucht, will als Zusammenhang wahrgenommen (und abgegolten) werden, der für seine Inhalte einsteht, und zwar in der ganzen Bandbreite vom Aufmacher bis zum am wenigsten geklickten Feature.

Dem steht das andere Prinzip entgegen, das das Netz erst so richtig möglich gemacht hat und dessen Potenziale noch kaum ausgeschöpft wurden: individuelles Publizieren. Bisher sind dabei der Monetarisierung noch viele Grenzen gesetzt, doch wenn sich dafür einmal eine plausible technische Lösung finden würde, könnte sich dieser Bereich deutlich professionalisieren. Reporter, die als ihre eigene Marke arbeiten, gab es auch bisher schon; sie konnte sich als Top-Freelancer die Abnehmer aussuchen; bald brauchen sie vielleicht keine mehr. Bei Bestsellerautoren könnte es ähnlich sein.

Amazon stand bisher schon an der Spitze dieser Bestrebungen, die verlegerischen Strukturen abzulösen und durch einen direkten Informationsmarkt zu ersetzen; allerdings ändert sich hier nur die dazwischengeschaltete Instanz, denn es ist nun eben Amazon, das die Verlegerprofite abschöpft. Youtube macht das Gleiche mit Amateurfilmen, die sozialen Netzwerke enthalten in Form der Freundeslisten die individualisierten Öffentlichkeiten, innerhalb derer die jeweils neuesten oder attraktivsten Inhalte kommuniziert werden. Und selbstverständlich legen es auch Facebook und Google+ darauf an, dass sich die User eines Tages den Link nach außen ersparen und die Inhalte direkt im Netzwerk finden.

Der Verlag Suhrkamp hat bisher nur sehr zaghaft versucht, sich diesen neuen Wirklichkeiten zu öffnen. Ein von der Kritik stark zerzaustes E-Book (im Grunde ein längerer Artikel) von Eva Illouz über den S/M-Bestseller Fifty Shades of Grey war der prononcierteste Versuch, auf das andere Tempo der Tagesaktualitäten zu reagieren. Doch ist es keineswegs so, dass die Probleme des Hauses ursächlich mit dem Medienwandel zu tun haben. Sie liegen wohl wirklich eher in einer Gesellschafterstruktur, die so niemand gewollt hat, die aber eben so entstanden ist, wie Probleme nun einmal häufig entstehen: aufgrund von Entscheidungen, deren Auswirkungen zum damaligen Zeitpunkt nicht abzusehen waren. Den Verlag für die Zukunft neu aufzustellen ist kein Ding der Unmöglichkeit, zumal die meisten Experten dem gedruckten Buch noch eine lange Lebensdauer zuschreiben.

Die Schwierigkeiten der Zeitungshäuser sind deutlich größer, weil hier der Zeitdruck ein ganz anderer ist. Die notwendige Umstellung von Werbe- auf Vertriebserlöse kann ein wenig Zeit kaufen, sie bereitet im Grunde schon vor, was am Ende dieser Entwicklung stehen könnte: integrierte Digitalportale, die dann vielleicht sogar noch "Ausgaben" produzieren, die aber vor allem durch ein einziges Element zusammengehalten werden - eine verlegerische Gewährleistung für Inhalte, die redaktionell aufgrund dieses Rückhalts eben nicht nur am Prinzip der maximalen direkten Effizienz gemessen werden müssen.

Wie schwierig diese Gratwanderung zwischen Exklusivität und Verbreitung ist, lässt sich gut an dem Umgang mit Google ermessen. Die New York Times hielt ja seit Einführung ihrer Paywall die Hintertür offen, dass ihre Inhalte bei der größten Suchmaschine findbar bleiben. Dem stehen Überlegungen bei vielen Verlagen gegenüber, wie man sich aus diesem Zusammenhang auskoppeln kann, um die Hoheit über die eigenen Inhalte zurückzugewinnen.

Dass Amazon inzwischen selbst "content" produziert, deutet darauf hin, dass das verlegerische Prinzip auch vom anderen Ende her, von den großen digitalen Plattformen, angestrebt wird. Sie konzipieren sich als Superverlage, die vom Spitzentitel einer Starautorin bis zu den poetischen Ergießungen von Amateuren alles in sich begreifen.

Wie passt Hörzu in diese Landschaft? Auf den ersten Blick gar nicht mehr, das sieht man auch an den aktuellen Titelgeschichten, die vom Einmaleins des gesunden Lebens handeln und nicht mehr vom Radio oder vom Fernsehen. Doch die Idee, ein Medium über Programme zu machen, ein Medium, das in seinem Kern aus Listen besteht, ist eigentlich durchaus zeitgemäß. Es bedarf nur einer anderen Umsetzung. Die gedruckte Suchmaschine, die Hörzu de facto ja immer war, wird bei aller opulenten Heftoptik sicher keine weiteren 67 Jahre eine "winning generation" finden. Und mit einer "Hörzu-Kultur" ist dem Weltempfänger, den wir uns mit dem Internet eingehandelt haben, sicher nicht beizukommen.

Dann schon eher auch in Zukunft mit einer Suhrkamp-Kultur, einer Washington Post- oder einer New York Times-Kultur, und vielen anderen Kulturen, die bekanntlich erst dort entstehen, wo die radikale Individualisierung, die uns die Märkte aufnötigen wollen, aufgehoben wird.    (Bert Rebhandl, Album, DER STANDARD, 24./25.8.2013)