ÖVP-Chef Spindelegger und Viennale-Direktor Hurch im Unger und Klein in der Herrengasse, Wiens kleinstem Café. Fotos: Andy Urban

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Man kann nicht einfach stehenbleiben, nur weil manchen die Bewegung nicht gefällt.

Michael Spindelegger

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Ich würde Ihnen das übelnehmen, wenn es einen Herrn Strache in der Regierung gibt.

Hans Hurch

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STANDARD: Die ÖVP plakatiert sich derzeit als weltoffene, tatkräftige und optimistische Partei. Sind das Begriffe, die Sie mit der ÖVP in Übereinstimmung bringen?

Hurch: Was eine Partei im Wahlkampf plakatiert, ist zwangsläufig zwischen Agitation und Wunschbild angesiedelt. Das entspricht nicht wirklich einer Realität, damit signalisiert man etwas nach außen und hofft, dass sich die Leute damit identifizieren können. Ich könnte mich mit diesen Begriffen identifizieren. Ich bin mir aber nicht sicher, ob sie tatsächlich der ÖVP entsprechen. Was heißt denn "weltoffen" für Sie?

Spindelegger: Ich bin der Außenminister dieser Republik und versuche das, was ich plakatiere, auch auf meine Person zu münzen. Wäre ich nicht weltoffen, könnte ich nicht Außenminister sein. Und ich bin ein optimistischer Mensch, einer, der immer versucht, das Gute zu sehen und daraus etwas zu machen. Wir haben auch noch plakatiert, dass wir eine Partei für die Entdecker sein wollen, das hängt damit zusammen, dass man neugierig sein muss, neugierig auch auf etwas Neues. Das bin ich auch. Und bei der Tatkraft wird es noch weniger Zweifel geben.

STANDARD: Sie haben sich jetzt zu einer konfrontativen Linie gegenüber der Lehrergewerkschaft entschlossen. Ist es das, was Sie unter Tatkraft verstehen?

Spindelegger: Tatkraft ist nicht nur darauf bezogen, einen Stillstand zu überwinden. Da geht es darum, jeden Tag in der früh aufzustehen, hart zu arbeiten, aber auch etwas davon haben zu wollen - das ist auch Tatkraft, ja. Und mir geht auf die Nerven, wenn jemand ständig nur sagt, was man nicht alles ändern müsste und nicht selbst kreativ wird. Aber natürlich gilt das auch beim Lehrerdienstrecht: Man kann nicht einfach stehenbleiben, nur weil manchen die Bewegung nicht gefällt. Mit dem Schritt in die Begutachtung war klar: Es wird ein neues Lehrerdienstrecht geben.

Hurch: Sehr tatkräftig war das nicht. Sie haben sich doch erst kurz vor der Wahl dazu entschlossen, und das auch nur, weil Sie schon sehr viel Kredit in der Öffentlichkeit verspielt haben. Die Regierung hat sich lange Zeit vorführen lassen. Da haben Sie schon sehr aus der Defensive heraus agiert.

Spindelegger: Was mir in der Debatte nicht gefällt, ist das öffentliche Lehrer-Bashing, wenn es heißt, die arbeiten nichts. So geht es auch nicht. Das ist eine sehr anspruchsvolle Tätigkeit.

Hurch: Herr Vizekanzler, sind Sie wirklich der Beste in der ÖVP?

Spindelegger: Das werden andere beurteilen müssen. Aber ich stehe jetzt an der Spitze und versuche meine Rolle so auszufüllen, wie ich bin. Ich verstelle mich da auch nicht. Aber letztlich gibt dir der Erfolg recht. Das sind bei mir die Wahlen. Erreiche ich ein gutes Wahlergebnis, ein besseres als beim letzten Mal, dann ist das ein Erfolg. Das Volk hat immer recht, der Wähler hat das letzte Wort.

STANDARD: Ihr Anspruch ist es ja, Bundeskanzler zu werden. Wie schaut es aus? Glauben Sie daran?

Spindelegger: Ich will das nicht nur werden, ich werde das auch plakatieren, damit es wirklich alle wissen. Ich will ein anderes Konzept vorlegen, als es der Amtsinhaber tut. Ich sage nicht, dass alles schlecht ist, was er macht. Ich habe zweieinhalb Jahre mit ihm zusammengearbeitet. Aber ich würde es anders machen, besser machen.

Hurch: Ich möchte mit Ihnen noch über die Abschiebung der Flüchtlinge sprechen. Ich komme aus einem tiefschwarzen, erzkatholischen Elternhaus. Mein Vater war noch dazu Lehrer. Aber was da von der Innenministerin für ein Ton kam, ich sage Ihnen ehrlich, mein guter Vater, der schon seit vielen Jahren tot ist, das hätte er nicht als christlich-sozial empfunden. Die Innenministerin hat ganz bewusst Behauptungen aufgestellt, die nicht richtig sind. Damit hat sie ideologisch die Kronen Zeitung gefüttert. Das ist unverzeihlich. Nach der Sache mit Justizministerin Karl war das ein zweiter Tiefschlag für jemanden, der ein bürgerlich-liberaler Mensch mit gewissen Grundsätzen ist. Und nachher sagt die Frau Mikl-Leitner: "Lasst uns doch die Emotion herausnehmen." Sie hat doch die ganze Emotion hineingepumpt.

Spindelegger: Wenn Sie das berührt, dann nehme ich das ganz genauso zur Kenntnis. Für mich geht es darum: Was lernen wir daraus, was können wir besser machen? Wir müssen in Europa in der Asylfrage gemeinsam zu einer Politik kommen, die wirklich den Namen verdient. Es kann nicht sein, dass immer die Länder, die besonders angesteuert werden, natürlich auch von den Schleppern, zum Handkuss kommen.

Hurch: Das sind Italien und andere Länder, die da besonders angesteuert werden, nicht in erster Linie Österreich.

Spindelegger: Schauen Sie sich einmal die Zahlen an. Bezogen auf die Bevölkerung ist Österreich eines der belastetsten Länder.

Hurch: Weil wir auch eines der reichsten Länder sind.

Spindelegger: Auch weil wir eine gute Rechtslage haben, wo jeder weiß, wenn ich da meine Gründe habe ...

Hurch: ... sollte ich eine faire Chance bekommen.

Spindelegger: Dann bekomme ich auch eine faire Chance. Das ist in unserem Gesetz gewährleistet. Wer wirklich gute Gründe hat, der ist willkommen, das möchte ich auch einmal dazusagen. Ich kenne die Hanni Mikl-Leitner privat und weiß, die ist jetzt nicht der Mensch, dem es darum geht, Härte zu zeigen und Law and Order ...

Hurch: Das haben Sie auch bei Ministerin Karl gesagt: "Ich kenne sie privat, und das ist ein feinfühliger und lieber Mensch." Aber ich kenne sie nicht privat. Ich nehme sie so wahr, wie sie öffentlich auftritt und sich in der Krone äußert.

STANDARD: Es war die Innenministerin, die diese Flüchtlinge mit kriminellen Machenschaften in Verbindung gebracht hat, obwohl das nicht der Faktenlage entsprach.

Spindelegger: Da kommen wir jetzt zur Rolle der Medien. So wie es vermittelt wird, hängt das auch mit der jeweiligen Blattlinie zusammen. Die Kronen Zeitung setzt eben auf Law and Order. Das hängt nicht unbedingt damit zusammen, was derjenige, der eine Botschaft aussendet, damit beabsichtigt. Da wird auch interpretiert.

Hurch: Aber ich finde die Aussage von Herrn Cap genauso skandalös, der gesagt hat, Fragen der Menschlichkeit haben im Wahlkampf nichts verloren. Was ist das für eine Aussage, ganz ehrlich? Um diese Themen kann man sich nicht herumdrücken. Das sind wichtige Fragen: Wie geht ein relativ reiches Land mit Flüchtlingen um, was für eine Verantwortung übernimmt dieses Land in der Welt? Da komme ich gleich zum Golan: Kaum wird es ein bissl gefährlich, sind wir schon weg.

Spindelegger: Da muss ich Ihnen etwas erklären. Ich habe das gegenüber Netanjahu gesagt, gegenüber den libanesischen Politikern, gegenüber all meinen Kollegen in der Europäischen Union: Wenn die EU ihre Politik aufgibt, wenn wir einseitig Waffen liefern, uns in diesen Konflikt auf eine Seite stellen, ist das ein Tabubruch, dann sind wir dort weg. Ich habe allen gesagt, wir können nicht neutral am Golan stehen, wenn ein Teil Waffen von uns bekommt. Aber Großbritannien und Frankreich haben das anders gesehen, haben das Waffenembargo aufgehoben. Der Treppenwitz der Geschichte ist: Drei Wochen später sagt der britische Außenminister, wir werden keine Waffen liefern.

STANDARD: Das klingt so, als ob die Österreicher zu früh vom Golan abgezogen sind.

Spindelegger: Das war in der Situation damals gar nicht anders möglich. Oder glauben Sie, dass ich einen österreichischen Soldaten gefährden will? In der Zone, wo wir drinnen waren, wurde täglich gekämpft. Das hat ja niemand registriert in Österreich.

Hurch: Ganz ehrlich, dann haben Sie schlecht kommuniziert.

Spindelegger: Darf ich Ihnen etwas sagen? Außenpolitik in Österreich zu kommunizieren ist fast nicht möglich. Weil dafür kaum Interesse besteht. Das ist meine Erfahrung aus fünf Jahren, glauben Sie mir das.

STANDARD: Es gab die Kritik von Karl Schwarzenberg, der Ihnen vorgeworfen hat, Sie interessieren sich nicht genug für Außenpolitik.

Spindelegger: Jetzt darf ich Ihnen aber auch etwas sagen. Ich habe ihn angerufen und habe gesagt, "Was soll das eigentlich, Karel?" Schwarzenberg hat auch vor der Diskussion in Brüssel zum Waffenembargo für Syrien große Töne gespuckt. Dann, in der entscheidenden Sitzung, als Großbritannien und Frankreich gesagt haben, wir müssen das Waffenembargo aufheben, bin ich allein übergeblieben. Niemand war mehr auf meiner Seite. Und dann sagt der mir glatt, ich habe zu wenig Zivilcourage. Er hat in der Sitzung die Augen zugemacht und getan, als würde er schlafen.

STANDARD: Die ÖVP hält sich alle Koalitionsoptionen offen, von Stronach über FPÖ, SPÖ bis zu den Grünen. Das ist entweder sehr weltoffen, man könnte aber auch sagen, das ist sehr beliebig.

Spindelegger: Ich habe großen Respekt vor dem Wähler. Es ist wirklich am Wähler zu sagen, wer ...

Hurch: Wenn ich heute ÖVP wähle, wähle ich nicht nur eine Partei, sondern wähle ich auch eine Option mit. Von der ich in etwa wissen muss, was mich erwartet. Sie sind einer großen Verlockung ausgesetzt. Einem historischen Moment vielleicht. Nämlich, dass Sie am Wahltag vielleicht Zweiter werden und dennoch Bundeskanzler werden könnten. Ihr Kollege hat vor vielen Jahren die Chance genutzt, da war er Dritter. Nur Ihnen traue ich diesen zynischen Machiavellismus nicht zu.

Spindelegger: Das ist schon einmal ein positiver Ansatz.

Hurch: Aber wenn Sie wirklich Kanzler werden wollen, etwas bewegen wollen, dann ist die Verlockung groß. Ich würde Ihnen das übelnehmen, wenn es einen Herrn Strache in der Regierung gibt. Ich würde mir von einem christlich-sozialen Politiker eine gewisse moralische Schmerzgrenze wünschen.

Spindelegger: Die habe ich. Ich werde nach der Wahl kein anderer sein als vorher. Was ich sicher nicht über Bord werfe, sind Grundsätze. Ich will eben keine neuen Steuern, und ich will auch nicht neue Schulden machen. Das bin ich schon meinen Kindern schuldig. Ich möchte auch nicht aus der EU austreten, und ich möchte nicht den Euro aufgeben. Das mache ich auch nicht.

STANDARD: Wenn Strache kommt und sagt, ja, Wirtschaft entfesseln, Steuern runter ...

Spindelegger: ... und wir treten nicht aus der EU aus, und wir werden nicht den Euro infrage stellen, ist das eine völlig andere Situation. Aber glauben Sie, dass er das machen wird?

Hurch: Es sind schon welche im Sportwagen gesessen, die sich das vorher nicht gedacht haben.

Spindelegger: Ich bin kein Sportwagenfahrer, schon gar kein Porschefahrer. (Michael Völker, DER STANDARD, 24.8.2013)