Einer der großen Verlierer der Entwicklungen der vergangenen Wochen in der arabischen Welt ist die Türkei: Ihre proaktive Nahostpolitik, die sie nach Jahrzehnten der Enthaltung erst in den vergangenen Jahren wieder aufgenommen hatte - und die ein wichtiges Element der politischen Philosophie von Regierungschef Tayyib Erdogan ist -, liegt in Trümmern. Der türkische Einfluss, den Ankara seit 2011 durch die politische Integration der Muslimbrüder in arabischen Ländern wachsen sah, ist nach dem Umsturz in Ägypten empfindlich beschnitten. Auch die türkische Rolle in der syrischen Opposition ist viel kleiner als zuvor.

Das Match um den Einfluss in der Region hat zumindest vorläufig Saudi-Arabien für sich entschieden. Das ist auch deshalb interessant, weil Saudi-Arabien nach 9/11 - als die Hauptzahl der Täter aus dem Königreich stammte - und der US-Invasion im Irak, die die sunnitisch-arabischen Kräfte schwächte, regionalpolitisch nicht in der allerersten Liga spielte. Die Hegemonialfrage in der Region werde zwischen Israel, der Türkei und dem Iran entschieden, war eine typische Analyse vor etwa zehn Jahren.

Die Reaktion Erdogans auf seine derzeitige Schwäche besteht in wildem Umherschlagen, das ihn noch mehr isolieren wird. Seine antisemitische Verfassung kommt ihm immer wieder in die Quere: so jetzt mit der Behauptung, dass der Sturz der Muslimbrüder-Regierung in Kairo in Wahrheit eine israelische Verschwörung sei. Mag er normalerweise mit seinen Ausritten gegen Israel bei vielen Arabern offene Ohren finden, so sagt er jetzt nichts anderes, als dass sich die hehre patriotische ägyptische Armee und der Hüter der Heiligen Stätten in Saudi-Arabien dem aus Jerusalem kommenden Diktat gebeugt haben. Das kommt nicht gut an. Noch ist mit Ekmeleddin Ihsanoglu ein Türke Chef der Organisation der Islamischen Zusammenarbeit (OIC) mit Hauptquartier in Jeddah.

Wobei Erdogan und sein Außenminister Ahmet Davutoglu, der die treibende Kraft dieser Außenpolitik ist, ihre Möglichkeiten selbst immer eher überschätzt haben: Erdogans Auftritt in Ägypten vor einem Muslimbruderschaft-Publikum im September 2011, bei dem er den ägyptischen Islamisten das türkische Modell von einer islamischen Führung in einem verfassungsmäßig säkularen Staat ans Herz legte, stieß nicht auf Begeisterung. Dabei ging es nicht nur um die Inhalte der Rede, sondern um den türkischen Anspruch: Neo-Osmanen, die sich für die arabische Welt zuständig fühlen, brauche man nicht. Nächstes Jahr jährt sich der Beginn des Ersten Weltkriegs, der zum Ende des Osmanischen Reiches - und zur britisch-französischen kolonialen Ordnung im Nahen Osten - führte.

Auch das türkische Engagement in Syriens Opposition wurde oft skeptisch gesehen - immerhin hat es dazu beigetragen, dass die türkeifeindlichen syrischen Kurden nie voll in die Opposition integriert werden konnten.

Die Muslimbrüder, die im vergangenen Jahr weite Teile der arabischen Welt gegen sich aufgebracht haben, weil sie als mafiöse Geheimgesellschaft wahrgenommen werden, die die Herrschaft in der ganzen Region an sich reißen will, haben zwar im Westen Fürsprecher, als echter Verbündeter in ideologischem Sinn bleibt ihnen aber nur die Türkei. In der Türkei trafen sich auch sofort nach dem Umsturz in Ägypten die regionalen Führer der Ikhwan, die eine Art Internationale bildet. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 22.8.2013)