Was wird Österreich tun, wenn die ersten Muslimbrüder aus Ägypten hier um Asyl bitten? Dass sie von der entstehenden Militärdiktatur in ihrem Heimatland verfolgt werden, ist schwer zu widerlegen; dass es unter ihnen ein sehr starkes radikales Element gibt, ebenso wenig.

Zu diesem Dilemma gleich mehr. Zunächst eine kurze Reflexion darüber, dass die Situation in einigen arabischen Mittelmeer-Anrainerstaaten total aus dem Ruder läuft und was das für Europa bedeuten kann. Der "Arabische Frühling" hat zwar die alten Diktatoren gestürzt, aber nichts Besseres nachkommen lassen. Libyen nach Gaddafi ist kein Staat, sondern eine Ansammlung von Stammesfürsten und Warlords. In Tunesien versuchen die gemäßigt-säkularen Kräfte eine totale Machtübernahme der Islamisten zu verhindern, mit ungewissem Ausgang. In Syrien ist der Diktator alten Stils noch nicht gestürzt, aber das Land verwüstet und die Anrainerstaaten Libanon, Jordanien, Irak destabilisiert. Wenn und falls die Revolution siegt, stehen die Islamisten zur Machtübernahme bereit. In Ägypten, dem wichtigsten arabischen Staat, zeigte sich besonders deutlich, dass Islamisten ein Wahlsieg nicht genügt. Sie wollen die gesamte Gesellschaft. Das wurde vorläufig durch die Armee verhindert, aber auch mit deren Brutalität kann man die Muslimbrüder und ihre Anhänger (30 Prozent der Bevölkerung) nicht "ausrotten".

Das Ergebnis all dessen sind zunächst Flüchtlingswellen. In Süditalien landen seit kurzem tausende (Boots-)Flüchtlinge aus Syrien und Ägypten. Eine allgemeine Welle aus den aufgewühlten Ländern des Mittelmeerrands ist eine realistische Möglichkeit. Italien, Griechenland, später vielleicht auch Spanien, wären dann endgültig überfordert.

Darunter werden etliche politische Flüchtlinge sein, und viele werden in Österreich um Asyl ansuchen. Die Regierung wird wohl etwas mehr an Expertise aufbieten müssen, um echte Radikale und Gewalttätige von jenen zu unterscheiden, die nur von den ägyptischen Militärs als "Terroristen" abgestempelt werden.

Der brennende Rand des Mittelmeers ist ungemütlich nahe. Die Einflussmöglichkeiten der EU sind gering, aber nicht nonexistent. Die ägyptischen Militärs zeigen jetzt gegenüber europäischen Vorhaltungen eine Art von Autismus, aber selbst wenn Kredite und Hilfsgelder vorläufig von den ultrakonservativen Golfarabern (und China) kommen, ohne Kontakt zu europäischen Institutionen, europäischer Technologie (und ohne europäische Touristen) kann auch der bornierteste General auf die Dauer nicht auskommen. Irgendwer muss die ägyptischen Militärs davon überzeugen, dass sie sich mäßigen müssen. Die Androhung von Einreiseverboten wäre vielleicht ein Druckmittel.

Europa hat eine arabische Welt vor seiner Haustür, die jetzt nur die Wahl zwischen bärtigen Fanatikern und sonnenbebrillten Generalissimi zu haben scheint. Die Transformation der arabischen Gesellschaften ist ein welthistorisches Ereignis. Europa bleibt wohl nur eine Politik der vielen, möglichst pragmatischen Schritte. (Hans Rauscher, DER STANDARD, 21.8.2013)