Der Betonbogen der Reichsbrücke auf der einen und Platanen auf der anderen Seite werfen Schatten auf mehrere drei- bis zehnköpfige Picknickgruppen. Von der Brücke aus ähnelt die Ansammlung einer überdimensionalen Patchwork-Decke. Auf ihr sitzen rund 150 Frauen und einige wenige Männer der Wiener Thai-Community. In Wien leben 2.000 ThailänderInnen oder ÖsterreicherInnen thailändischer Herkunft, wovon sich ein beständiger Teil im Sommer an diesem Fleck unter der Reichsbrücke trifft.

"Die Männer langweilen sich mit uns"

Noi sitzt auf einem Hocker und zupft Krabben zwischen Kistenstapeln aus weißem Styropor und Plastikeimern. Das Essen haben die Restaurantbesitzerin und ihre Freundinnen mitgebracht, gemeinsam bereiten sie gerade Papayasalat zu. "Jede bringt etwas mit, und dann teilen wir alles."

Auf die Frage, wo die Männer stecken, lacht Noi und zeigt auf die Holztische am Straßenrand, an denen ein Dutzend ältere Herren in Shorts und Sandalen oder im Radlertrikot Karten spielen. "Die langweilen sich mit uns und unserem Blabla." Thailändische Männer sind bei dieser Zusammenkunft noch unterrepräsentierter als insgesamt in Österreich. Auf 100 Thailänder kommen 416 Thailänderinnen, so die Zahlen der Statistik Austria.

An Feiertagen picknicken über hundert ThailänderInnen unter der Reichsbrücke in Wien
Foto: derStandard.at/Maria von Usslar

Anschluss zur Community finden Thai-Frauen auf der Donauinsel

"Wir Thai kennen uns. Sobald eine neu in Wien ist, kommt sie auch auf die Donauinsel", sagt Wirunphorn, die durch ihre mit einem Österreicher verheiratete Mutter Anschluss an die Donauinsel-Community gefunden hat.

Wirunphorn ist seit 19 Jahren in Wien und schenkt in einem Krankenhaus Essen aus. Tatsächlich arbeiten viele der Anwesenden als Zimmermädchen, Küchengehilfin oder Masseurin und – schenkt man einigen am Rand stehenden Männern Glauben – auch als Prostituierte.

Sextourismus und Katalogfrauen

Das Image von Sextourismus und Frauen aus dem Katalog ist in Österreich verbreitet und schadet den Thai-Frauen bei der Arbeitssuche, wie aus der Studie "Thai Communities in Vienna" von 2011 hervorgeht. Oftmals finden sie Jobs im Gastro- oder Servicebereich, selbst wenn sie eine höhere Berufsausbildung abgeschlossen haben.

Im Urlaub kennengelernt

Mehr als 60 Prozent der Thai-Frauen in Wien sind mit einem Wiener verheiratet. Im Jahr 2006 hat Österreich einige Vorschriften eingeführt, die eine binationale Eheschließung erschweren. Beispielsweise fordert das Standesamt einen Nachweis über deutsche Sprachkenntnisse auf A1-Niveau vor der Einreise sowie ein Mindesteinkommen von 1.255,89 Euro netto (exklusive Miete) des Partners oder der Partnerin.

Die Österreicher, die sich um das Picknickareal gesellen, bestätigen das stereotype Bild einer Mischehe. Wenige der Thai-Frauen beherrschen die deutsche Sprache – auch noch nach mehr als zehn Jahren Ehe.

Franz hat seine Frau im thailändischen Badeort Pattaya kennengelernt und sie 1997 nach Österreich mitgenommen. Ebenso lange kommt er regelmäßig mit ihr auf die Donauinsel, vor allem um ihr ein bisschen Heimatgefühl zu ermöglichen, wie er sagt. Der Pensionist selbst fährt tagsüber mit seinem Fahrrad um die Donauinsel und trifft sich am Abend mit anderen Ehemännern zum Bier oder Radler und um die anderen an den Tischen beim Kartenspielen zu "kiebitzen".

Die österreichischen Männer der Thai-Frauen gesellen sich eher an den Rand des Picknicks.
Foto: derStandard.at/Maria von Usslar

Geduldeter Gassenverkauf und Glücksspiel

Die mitgebrachten Speisen rührt er nicht an – "zu scharf" seien sie. Deswegen habe er auch dafür gesorgt, dass seine Frau die Wiener Küche beherrscht. Es gibt aber auch den einen oder anderen Gast unter den PicknickerInnen, der sich über die exotischen Speisen, meist kalte Vorspeisen mit Fisch, Hühnchen und Papaya, freut. Es werden Plastikteller und -becher herumgereicht. Einer von den Gästen erzählt, dass Aussenstehende hier für eine angemessene Spende satt werden können und den Thai-Frauen somit einen kleinen Zuverdienst ermöglichen, das sei von den örtlichen Beamten auch geduldet.

Die mitgebrachten Speisen (im Bild: Papaya) werden vor Ort zubereitet.
Foto: derStandard.at/Maria von Usslar

Mehr Geld ist auf den Decken im Umlauf, wo geschnapst wird. Hier stapeln sich Fünf- und Zehn-Euroscheine vor den Knien von Spielerinnen, denen die Karten bisher Glück gebracht haben. Kartenspielen ist in Thailand verboten und deswegen wohl so beliebt. Daneben gehören die traditionelle Thai-Massage oder Essen und Plaudern zum Zeitvertreib der Community.

Mini-Thailand in Wien

Mit der Donauinsel haben sie sich ein Mini-Thailand für ihre Freizeit geschaffen, während ihre Männer sich abseits anderwertig beschäftigen oder zuhause bleiben. In der Dämmerung werden einige Frauen von ihren Männern mit dem Auto von der Brücke abgeholt während andere die Kühlboxen, Geschirr und Essenskörbe in Taxis verladen – deshalb sei es eben praktisch unter der Zufahrt zur Reichsbrücke zu picknicken, rechtfertigen sie den weniger idyllischen Ort unter Beton. (Text: Maria von Usslar, Video: Siniša Puktalović/Maria von Usslar, derStandard.at, 23.8.2013)