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Oskar Niedermayer (61) ist Professor für Politische Wissenschaft an der Freien Universität Berlin.

Foto: Niedermayer

Mit dem Politologen Oskar Niedermayer sprach Birgit Baumann.

Standard: Kommt der deutsche Wahlkampf noch in Schwung?

Niedermayer: Ja, das wird er. Jetzt war Sommerpause, Politiker wie Wähler waren auf Urlaub, langsam kehren alle zurück. Die SPD hat ja versucht, die Spähprogramme der NSA zum Thema zu machen, aber das funktionierte nicht. Jetzt muss sie sehen, dass sie noch in die Puschen kommt.

Standard: Wie kann das gelingen?

Niedermayer: Entscheidend sind die letzten zwei Wochen vor der Wahl. Rund 40 Prozent der Wähler sind noch unentschlossen, davon muss die SPD möglichst viele mobilisieren. Viele entscheiden wirklich erst in der Wahlkabine. Die Wahl wird sehr knapp ausgehen, da können ein oder zwei Prozentpunkte entscheidend sein.

Standard: Warum fasst die SPD so schwer Tritt? Liegt das nur am Spitzenkandidaten Peer Steinbrück?

Niedermayer: Eine Partei muss mit ihrem Markenkern punkten. Das ist bei der SPD die soziale Gerechtigkeit. Diese hat sie aber in den vergangenen Wochen zugunsten der NSA-Affäre vernachlässigt. Sie müsste jetzt schnell wieder auf SPD-Themen schwenken. Aber es ist schwierig, ein Thema zu finden, bei dem sie ein Alleinstellungsmerkmal hat. Mindestlöhne etwa fordern nicht nur die Linke, auch Kanzlerin Angela Merkel ist mittlerweile dafür. Es fehlt ein Aufregerthema.

Standard: Geben Sie die Wahl für die SPD schon verloren?

Niedermayer: Man sollte nicht sagen, die SPD habe keinerlei Chancen mehr. Frühere Wahlkämpfe haben gezeigt: Man kann es in der letzten Phase noch rumreißen.

Standard: 2002 etwa lag die SPD hinter der CDU. Dann kam die Flut und spülte Gerhard Schröder wieder ins Kanzleramt.

Niedermayer: Das war ein Ereignis von außen. So etwas kann immer wieder passieren. Sollte die Eurokrise wieder ausbrechen und sollten die Märkte verrückt spielen, dann könnte die SPD Merkels Krisenmanagement massiv infrage stellen und ankratzen. Aber selbst das wäre schwierig, weil SPD, Grüne und Linke ja keine Alternative in der Europolitik haben. Die Alternative für Deutschland (AfD) will den Euroausstieg, aber die spielt im Wahlkampf keine Rolle.

Standard: Und wenn nichts Außergewöhnliches mehr passiert?

Niedermayer: Dann wird es sehr schwierig für die SPD. Sie kann auch nicht mit Steinbrück punkten, er liegt so lange schon in den Beliebtheitswerten sehr weit hinter Kanzlerin Merkel.

Standard: Merkel macht ja eigentlich gar keinen Wahlkampf.

Niedermayer: Das ist geschickt. Merkel hat das Image der Mutter der Nation, die sich kümmert, die mit ruhiger Hand durch die Krise steuert. Gegen so ein Image anzugehen ist sehr schwierig. Und dann plakatiert die SPD in der ersten Welle auch noch Merkel. Das war nicht sehr geschickt. Das Problem der SPD ist auch, dass Rot-Grün in Umfragen keine Chancen mehr gegeben wird. Da sagen sich die Leute: Wozu soll ich die wählen, wenn sie keine Machtperspektive haben?  (DER STANDARD, 20.8.2013)