Diese Momente im Leben, als würde die Zeit still stehen: Sie können wunderschön sein, aufregend - wenn der Stillstand vielleicht nicht schon das eine oder andere Jahrzehnt anzuhalten scheint.

Ich kann nicht mehr einordnen, wann ich es zum vorletzten Mal mit dem Tulbinger Kogel probiert habe. Ich schätze sehr grob - es könnte noch im vorigen Jahrtausend gewesen sein, jedenfalls früh im vorigen Jahrzehnt. Ich hatte es dann offenbar nicht so wirklich eilig. Als großer Freund des Tullnerfelds und seiner kulinarischen Angebote fand ich aber: Es ist wieder Zeit. Das würde ich mit dieser Bestimmtheit nun nicht mehr sagen - wie auch, an einem Ort, ein Stück neben Raum und Zeit.

Solche Orte können ihren Charme haben. Für ein Publikum zum Beispiel, das mit dem Berghotel älter wurde und vielleicht auch die eine oder andere Möglichkeit der Erweiterung oder Überarbeitung nutzte wie das Hotel selbst. Ich bin ja auch nicht jünger geworden. Aber meine Altersmilde reicht noch nicht für uneingeschränkte Begeisterung.

Zwischen Traum und Traun

Das Panorama am Sommerabend von der Terrasse: ein Traum. Die Außentemperaturen auch bei brüllender Hitze in Stadt oder Feld: angenehm bis erfrischend, auch ohne die zu würdigende Neuerung des "kleinen Hitze-Menüs (inklusive Benützung des Terrassenpools)". Auch die Inneneinrichtung wurde stellenweise ein wenig modernisiert schien mir, für die Speisekarte kann ich das nicht rundweg ausschließen. Ihr Stil und der Umfang schien mir unverändert: Was man einmal bieten musste, wer sich als besseres Haus positionierte und die besseren Leut, am besten mit ordentlich Prominenz, anlocken wollte. 

Eine Auswahl: Austern, Charentais-Melone und Serrano-Rohschinken, Carpaccio, Kalbs-Tatare "Piemonteser Art", Oktopuscarpaccio, Vitello Tonnato (als Kalbsschulterscherzel mit Thunfischsauce), geeiste Gurkensuppe, auch Grießnockerl und Rind mit Kräuterfrittaten, Hummersuppe mit Blätterteigstangerl, Gänselebermedaillons auf Calvados-Apfelscheibe, Muscheln in Knoblauch-Weinsud, Artischocke "auf römische Art", Wachtelbrüstchen auf Eierschwammerl a la Creme, Anglermedaillons auf Hummersauce, Dorade-Royale-Filets auf Ragout von Artischocken und getrockneten Tomaten, Riesengarnelen, halber Hummer, Entrecôte Double, auch profaner Tafelspitz und Schulterscherzel und Kalbsleber und Kalbsrücken.

Ja, ich bin ungerecht: Es gab auch zwei Süßwasserfische auf der Karte, gar ohne Obers, wie mir scheint, die Steinpilze sind nicht gebacken und - so gewinnt man den Fidler - einen rosa gebratenen Hirschrücken verspricht die lange Speisenliste zudem. Leider zu Unrecht. Vielleicht bin ich deshalb gar so negativ. Schauen wir lieber noch einmal genauer hin.

 

Das Panorama - 1a, finde ich, von der Terrasse des Restaurants im Berghotel Tulbingerkogel - zweimal drei Gänge plus Saft, Wein, Kaffee: 127 Euro.

Foto: Harald Fidler

Die Butter, untadelig, kommt hier so glänzend auf den Tisch wie eh und je.

Foto: Harald Fidler

Vermutlich war ich einst auch im Sommer hier - ziemlich scharfe Gazpacho als Gruß aus der Küche kommt mir auch sehr bekannt vor.

Foto: Harald Fidler

Ich bin ja ein großer Freund der sehr, sehr weichen Eierspeise - die Schöne an meiner Seite leider nicht so. Weshalb sie sich nicht so glücklich über ihre Eierschwammerl mit Ei und heurigen Erdäpfeln zeigte. Tauschen wollte sie aber auch nicht gegen meine ...

Foto: Harald Fidler

... mir wiederum etwas zu forsch sautierten Steinpilze auf ganz schön üppig portionierten, ziemlich neutralen Rahmnudeln.

Foto: Harald Fidler

Wer neben nicht immer ganz heutig wirkenden Menüs auch gelegentlich wirklich richtig historische Speisenfolgen anbietet, hat auch für jede Gelegenheit passendes Werkzeug parat. Zum Beispiel diese Gabel für meine Krebse  "(aus der Traun!)", betont die Karte.

Foto: Harald Fidler

Ob da der geschätzte Lifestyle-Kollege nicht das Rot ein bisschen hochgedreht hat, als ich gerade überlegte, gemeinerweise "aus der Traum" zu kalauern. Die Krebse aus der Traun waren schon okay, wobei mir der wirklich interessante Teil des einen rosig, die der anderen beiden etwas grau in Erinnerung blieben.

 

Foto: Harald Fidler

Der Spanferkelrücken mit Tullnerfelder Kraut wäre ihre erste Wahl gewesen - aber leider eben nicht nur ihre. Die Dorade schien der Schönen, ganz im Gegensatz zum Ei davor, ein bisschen zu durch, die Kräutermischung mochte sie auch nicht restlos zu begeistern. Ich indes war mit dem Plattfisch ein großes Stück inniger als mit ...

Foto: Harald Fidler

... meinem rosa gebratenen Hirschrücken. Den hätte ich eher in einer vergangenen Zeit gesehen und/oder als einfachgasthäuslichen Hirschbraten eingestuft, das Grau damit wohl hingenommen, aber das gute Stück selbst dann etwas trocken gefunden. Mit der Ankündigung in Rosa war ich dann doch ziemlich enttäuscht. Der Kellner wiederum schien das von mir zu sein, als ich ihm auf Anfrage anvertraute, dass der Hirsch doch sehr durch war. Ich ersparte ihm die Information, dass die Zucchini ziemlich kühl waren - nein, ich habe wirklich rasch fotografiert.

Foto: Harald Fidler

Unter Topfenobersnockerln, Topfen-Sauerrahmsouffle, Schwarzer Feige, Marillenterrine mit -röster und Eis, zweierlei Schokoladenmousse im Hippenmantel und Erdbeer-Marzipanknöderl schien ihr hier der "Altwiener Nusspudding mit Schokoladensauce" und ordentlich Schlag am schlüssigsten. Ich muss ja sagen: Ohne Sauce und Schlag hätt ich den saftigen, für sich schon recht üppigen Nusspudding durchaus interessant gefunden.

Foto: Harald Fidler

Kurzum: Ich war nicht rundum glücklich. Aber schon irgendwie okay. Wir sehen uns dann vielleicht im nächsten Jahrzehnt wieder. Man braucht ja auch Fixpunkte im Leben. Und das Panorama mag ich sehr. (Harald Fidler, derStandard.at, 20.8.2013)

Foto: Harald Fidler