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"Die Bank sagt Nein, wir sagen Ja": Neue Kreditanbieter versprechen den Kunden in Großbritannien rasche und unbürokratische Kleinstdarlehen. Die Zinsen sind freilich meist horrend.

Foto: reuters/plunkett suzanne

Nach dem Dienstleistungssektor und der verarbeitenden Industrie meldet nun auch der Einzelhandel in Großbritannien ermutigende Zahlen. Im Juli kauften die Briten drei Prozent mehr ein als im gleichen Monat des Vorjahres. Als Ursache gilt die längste Hitzeperiode seit 1997. Gleichzeitig warnen angesehene Ökonomen davor, dass der Mini-Boom auf keinem soliden Fundament ruhe.

Hilfen für Immobilienkäufer

Da die Realeinkommen seit Jahren fallen, würden die Konsumenten ihre Zusatzausgaben durch neue Verschuldung finanzieren, argumentiert Ann Pettifor von der Denkfabrik Prime Economics. Dabei beträgt der durchschnittliche Schuldenstand britischer Privathaushalte schon bisher stolze 153 Prozent des verfügbaren Einkommens.

Die Entschuldung von Staats- und Privathaushalten stellt das oberste Ziel der konservativ-liberalen Koalition unter Premier David Cameron dar. Allerdings hat das kümmerliche Wachstum der letzten Jahre die Regierung zurückgeworfen. Für 2013 plant Finanzminister George Osborne eine Neuverschuldung von 133 Milliarden Euro. Zur Ankurbelung der Wirtschaft (jüngstes Wachstum: 0,6 Prozent) vertraut der Finanzminister auf mehr Hilfen für Immobilienkäufer sowie die dauerhaft niedrigen Leitzinsen der Bank of England von derzeit 0,5 Prozent.

Kritik an Dauerniedrigzinsen

Deren neuer Gouverneur Mark Carney hat zu Monatsbeginn den Rekordtiefstand für weitere Jahre in Aussicht gestellt; eine Erhöhung komme erst infrage, wenn die Arbeitslosigkeit von derzeit 7,8 Prozent auf sieben Prozent gefallen sei oder schwerwiegende Inflationsgefahren drohten.

Kritik an den Dauerniedrigzinsen kam bisher vor allem von Pensionsfonds und Sparerorganisationen. Wie diese warnt nun auch Pettifor vor neuerlicher übertriebener Verschuldung.

"Alice in Wongaland"

Die Meinung der ursprünglich auf Entwicklungsländer spezialisierten Ökonomin wird viel beachtet, seit sie schon 2006 von der "zukünftigen Schuldenkrise der Ersten Welt" sprach und damit den 2008 eingetretenen Finanzcrash prophezeite. Nach einer Sparphase vertrauten die Briten nun auf eine Fantasie-Erholung der Wirtschaft, glaubt Pettifor, und spricht in Anspielung auf Lewis Carrolls berühmten Roman von "Alice in Wongaland". Das Kredithaus Wonga (Slang für Geld) gilt als Ikone einer ganzen Gruppe von neugegründeten Internetanbietern, die unbürokratisch binnen weniger Minuten Kleinstdarlehen vergeben.

Freilich zahlen klamme Kunden einen hohen Preis für die geborgte Finanzspritze: Durchschnittlich kostet die Leihgabe von 100 Pfund monatlich 25 Pfund, aufs Jahr umgerechnet beträgt der Zinssatz also rund 1350 Prozent.

Auch Eimear Daly vom Währungshändler Monex Europe hält den schuldenfinanzierten Binnenkonsum, verbunden mit einer fallenden Sparrate, für ein ""hohes Risiko". Hingegen gibt sich David Kern von der Britischen Handelskammer gelassen: Die derart erzeugte Nachfrage sei "immer noch besser als gar kein Wachstum". (Sebastian Borger aus London, DER STANDARD, 19.8.2013)