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Sebastian Madsen von der Band 'Madsen' während eines Konzertes am Frequency-Festival.

Foto: APA/HERBERT P. OCZERET

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Besucher des Frequency-Festivals

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St. Pölten - Manchmal könnte einen als sensibler Mensch ein ungutes Gefühl beschleichen. All die jungen Menschen, die einem da beim Betreten des Festivalgeländes lebensfroh entgegenströmen, könnten beim geringsten Verstoß gegen die allgemein verordnete Fröhlichkeit sehr schnell sehr zornig werden. Du lachst jetzt. Sofort! Wir haben "Spaß" gesagt, hallo?! Auf den zwei Hauptbühnen des FM4-Frequency-Festivals kaspern gerade melodieverliebte Gitarrenburschen herum, Madsen aus Deutschland und Fallout Boy aus Nordamerika.

Erstere deuten den alten Soul-Titel I Heard It Through The Grapevine als fröhlichen Pop-Punk. Sie singen dann auch irgendwie davon, dass der Anfang an ein Ende kommt oder das Ende seinen Anfang nimmt. Fallout Boy haben sich in den letzten Karrierejahren mittels martialischer Ganzkörper-Tattoos von lieben Buben auf gefährliche Burschen umgestylt. Sie interpretieren Michael Jacksons Beat It als poppigen Frohsinns-Punk. Was genau Fallout Boy sonst singen, lässt sich leider nicht so gut verstehen. Die Tonanlage verzerrt den Gesang bei nicht einmal hoher Lautstärke vielleicht absichtlich. Musik muss ja schließlich immer auch ihr Geheimnis bewahren.

Madsen jedenfalls beschenken ihr begeistert die Hände in die Höhe werfendes Publikum mit dem schönsten Lied des Tages: Du Bist Nicht So Cool. Man könnte sich jetzt an einem der zwei dafür vorgesehenen Stände ein Temporary Tattoo auf die Stirn oder in den Ausschnitt kleben lassen, damit man am Sonntag seine Leute zu Hause ordentlich erschrecken kann. Vielleicht aber sollte man doch lieber in einem Tabakkonzern-Container ein Zigaretten-Abo bestellen oder sich in der aufblasbaren Bankfiliale gegenüber eine dieser lustigen Plastikkarten holen, mit denen man alles kaufen kann, was man haben will. Über neueste gastronomische Trends lässt sich nicht viel berichten. Dass es das Bier jetzt auch in einlitergroßen Plastikkrügen mit Henkel gibt, haben wir ja schon gesagt, oder?

Auf dem Gelände wird jedenfalls nicht mehr so viel gekifft wie früher, dafür ziehen sich die Burschen gern flauschige Hasenkostüme oder diese neumodischen Ganzkörperkondome an, mit denen es am Pixiklo ganz schön kompliziert ist. Angeblich werden Pixiklos mit der Dauer des Abends gern von anderen Burschen umgeworfen, aber nur wenn jemand drinnen ist. Aber die Leute reden natürlich viel, wenn der Tag lang ist. Pure Vernunft darf jedenfalls niemals siegen. Das muss uns klar sein. Gibt es ein schöneres Alter als das junge? Bloß nicht darüber nachdenken.

Schlumpfentechno

Auf der Hauptbühne zur Hauptabendzeit rappt jetzt der deutsche HipHopper Casper mit Band das übliche deutsche Durchhalteparolen-, Ich-habe-überlebt-, Ich-habe-einmal-die-Sonntagszeitung-gestohlen-Zeug herunter. Casper trägt definitiv keine Temporary Tattoos, sondern den echten harten Stoff. Aber bei ihm gehört das zum beruflichen Anforderungsprofil. Er hat eine Stimme, die darauf schließen lässt, dass er zum Frühstück Semmeln mit Stahlwolle isst - oder nicht so viel rauchen und zu kalt trinken sollte. Man versteht wegen der verzerrten, aber nicht zu lauten Tonanlage kein Wort. Das Publikum ist restlos begeistert und wirft die Hände in die Höhe.

Auf der kleineren Bühne kreischt eine blondierte und demonstrativ schlecht aufgelegte Sängerin zu Schihütten-Beats Lieder ohne Melodien. Ein Mann hinter zwei Keyboards, drückt die Start- und Stoptaste, ein Schlagzeuger demonstriert Live-Atmosphäre. Die demonstrativ schlecht gelaunte Sängerin (was aber zum beruflichen Anforderungsprofil gehört) steigt ins Publikum und kreischt irgendetwas im Stil von Schlumpfentechno trifft auf Gruftie-Pop. Zum Schutz gegen Hasenkostüme trägt sie eine Sonnenbrille. Die Band nennt sich Crystal Castles und hasst Festivals. Sie kommt aus Kanada und fährt dort sehr gern wieder hin.

Der Abend geht mit Bad Religion auf der Hauptbühne zu Ende. Das sind 50-jährige Punkrocker, die ihre Musik von tollen jungen Bands wie Madsen oder Fallout Boy abgekupfert haben. Abstoßend, wenn sich Eltern so an ihre Kinder anbiedern. Die grauen Panther im Publikum freut das. Ja, wir haben auch immer noch eine Berechtigung, weil wir immer noch rockig sind.

Lady-Gaga-Geballere

Danach spielen System Of A Down aus den USA ihren mit katastrophal vielen Noten überfrachteten Frank-Zappa-Metal. Sie haben sich in Europa ziemlich verfahren, wollten eigentlich beim passenderen Novarock-Festival im Juni in Nickelsdorf spielen, aber jetzt, wo sie schon einmal da sind... Eben. Auf der kleineren Bühne beweist inzwischen Leftboy, der leibliche Sohn von André Heller, dass sein Status als Youtube-Superstar gerechtfertigt ist. Er hat die gesamte Trendsport-Jugend im Publikum und beweist mit einer klugen Mischung aus zeitgenössischem HipHop, gemäßigtem Lady-Gaga-Geballere und einer bemerkenswerten Mickey-Maus-Stimme, dass im Pop tatsächlich noch etwas geht. Aber was? Leftboy hat auf der Bühne männliche Tänzer. Das ist in diesem Genre nichts weniger als toll, weil es Klischees aushebelt.

Bei der Heimfahrt sieht man, dass in einer Halle gegenüber des Festivals noch Licht brennt. Hier legen angeblich bis morgens in der Früh berühmte nicht mehr ganz junge Männer Discomusik-Vinylplatten auf. Den Seinen gibt's der Herr im Schlaf. Selten so einen dummen Spruch gehört. (Christian Schachinger, derStandard.at, 17.8.2013)