Nicht zum zynischen Insider geworden: der Autor Peter Henisch, fotografiert im Jahr 2009.

Foto: Standard/Heribert Corn

Peter Henisch ist ein "Achtundsechziger" - aber was heißt das? 1968 war ich gerade zehn und denke ich an die Pariser und Berliner Revolten sowie an russische Panzer in Prag, so erscheinen mir im Kopf blasse Schwarzweiß-Fernsehbilder, und ich habe gehässige Wirtshauskommentare über Langhaarige im Ohr. Auch die Mondlandung und einige Muhammad-Ali-Kämpfe habe ich solcherart eher monochrom abgespeichert, und irgendwo mischt sich dazu der Sound von Beatles und Stones.

Um 1973/74 begann meine etwas bewusstere Zeitgenossenschaft. Und weil es in der austriakischen Provinz da erst einigermaßen losging, konnte man als Jugendlicher auf den Zug noch aufspringen. Zu diesem Zeitpunkt war Henisch über die Ö3-Musicbox als Autor in unseren Radiorecordern schon präsent, mit Gedichten und bald auch über sein Vaterbuch.

Leibhaftig kennengelernt habe ich Peter Henisch 1978 nach einer Lesung. Wir saßen bis spät in die Nacht in einem chinesischen Restaurant in der Heiligenstädter Straße. Ich kann mich aus mehreren Gründen noch sehr genau an diese Begegnung erinnern.

Erstens waren Chinesen in Wien damals noch einigermaßen exotisch, zweitens war mir der direkte Kontakt mit Menschen, die mir zuvor im Fernsehen erschienen sind oder deren Stimme mir aus dem Radio bekannt war, noch ungewohnt. Und drittens hat mich unser Hauptgesprächsthema sehr beschäftigt. Ich bastelte gerade für eine Studentenzeitschrift an einem Artikel über das erste 68er-Jubiläum und war mit der Fragestellung Revolte und Kollektiv zu Gange. Dass der Mai längst vorbei sei, wollte ich dem Henisch nicht abnehmen. Interessiert haben mich seine Berichte aus dem Inneren einer von mir adorierten Literaturzeitschrift, aus deren Redaktion Henisch erst kürzlich herausgefallen war. Den Phantomschmerz, den dieser Weggang - oder war es eher ein Verstoß? - bei ihm offensichtlich hinterlassen hat, hat er öffentlich mehr als dreißig Jahre später noch einmal artikuliert, zum 35-jährigen Jubiläum ebendieser Zeitschrift im Literarischen Quartier der Alten Schmiede. Auch da war ich dabei, und es war so intensiv, dass sich sogar der ansonsten eher kühle Philosoph Rudolf Burger einigermaßen berührt zeigte.

Nicht nur weil ich nun doch auch schon längere Zeit Umgang mit einer Zeitschrift für brauchbare Texte und Bilder habe, beschäftigt mich das Verhältnis von Bild und Text. Für eine Ausgabe des Wespennests zum Thema Feindschaft hat Peter Henisch einen Essay über die Kriegsfotos seines Vaters geschrieben, und ich durfte mit ihm eine Unzahl dieser Fotos durchsehen. Darauf waren immer wieder zerstörte Panzer zu sehen. Panzerbilder haben sich mir eingeprägt durch die frühe Lektüre der Wehrmachtsillustrierten Signal, die mein Großvater noch packenweise auf dem Dachboden gestapelt hatte.

Panzer und Panzergeneräle waren im Signal immer sehr heroisch abgebildet. Für das Wespennest haben wir ein Bild von zerstörten Panzern ausgewählt, auch die anderen Bilder sind alles andere als heroisch. Als mir im Vorjahr der Feldmarschall Rommel wieder durchs Zimmer geflimmert ist, sind mir die Filmbilder sehr vertraut vorgekommen, und auch auf dem Titelbild des Spiegel habe ich die Signaloptik gleich wieder erkannt. Dass in einem Schlüsselroman über die Waldheim-Zeit das Profil in Signal umbenannt wird, halte ich für eine der Fatalitäten, die in Österreich offensichtlich einfach passieren und vor denen uns auch das Lektorat des Suhrkamp-Verlages nicht mehr beschützt.

Nicht unbedingt eine Feldherrenpose, aber immerhin einen Feldwebelton arrogieren sich gerne auch österreichische Innenminister, egal, ob männlich oder weiblich. Peter Henisch versucht dem durch direkte Korrespondenz zu widersprechen, auch wenn er die Aussichtslosigkeit solcher Unterfangen einkalkuliert.

Der Herr Blecha ist ja als General eines Pensionistenheeres aktuell wiedergängig und als solcher mit einem jungen Leutnant konfrontiert, der als Staatssekretär gerade österreichische Werte als Schulfach einfordert. Da kann man beiden die Lektüre von Henischs politischen Einlassungen nur aufs Wärmste ans Herz legen. Und während die Schottermitzi finanzministernd als Verkörperung der Krise aus dem Radio schrillt, sollte man ihrer Kollegin im Justizressort die Lektüre von Henischs Ausbrecherreportage nachtragen. Alles kein Karl, wie es wienerisch einmal geheißen hat und mangels Charakterdarstellern wie Schubirsch, Nejedly und Schandel leider nicht einmal mehr Schmiere.

Im Geiste Antonio Gramscis ist Henisch so etwas wie ein Optimist der Tat, aber kein Pessimist des Gedankens. Darüber hinaus ist er ein außerordentlicher Blueser, beileibe nicht nur mit der Mundharmonika. Seine Obsession für die Doors ist mir nicht ganz koscher, allerdings habe ich Morrisons Versteck mit Gewinn gelesen und auch, wie er den androgynen Lederhosenträger mit der Romantik verbindet.

Ich will nicht herummosern, ich bin als Ray-Davies-Fan einfach nicht kompetent. Aber verschweigen will ich nicht, dass auch ich einmal mit dem Peter Henisch den Blues gespielt habe und, wirklich wahr, genau in dem Zimmer, in dem ich jetzt diesen Text schreibe. Dieser Auftritt, es war 1997 anlässlich der Inbetriebnahme der ersten (und bislang einzigen) Wespennest-Räumlichkeiten, sitzt mir beim Schreiben jetzt im Nacken. Aber auch das ist vielleicht nur ein Ausdruck der engen Verhältnisse, in denen wir eben existieren.

Henischs Idee, Karl May mit Franz Kafka in Verbindung zu bringen, hat mich zunächst eher befremdet, der Buchtitel Vom Wunsch, Indianer zu werden hat mich allerdings sofort elektrisiert. Karl May habe ich ja schon mehr gesehen als tatsächlich gelesen, und nie wollte ich Apache, immer ein Komantsche sein. Aber nur einmal war ich bisher bei den Indianern, und als ich mitten im tristen Navajo-Reservat einem Regentanz der Hopi beiwohnte, zogen in der Dämmerung tatsächlich dunkle Wolken auf, und es fielen ein paar Tropfen.

Wäre Henisch ein Indianer, wäre er, denke ich, ein versprengter Hopi. Ich, seine Fährte lesend, würde mich als einsamer Komantsche ihm dann anschließen. Ein Stamm würden wir nicht werden, aber wir könnten zumindest einen Wigwam bauen, und mit der Zeit werden ein paar weitere Indianer und hoffentlich auch Indianerinnen mit uns ums Feuer sitzen.

Was aber jetzt wirklich ein "Achtundsechziger" ist, bleibt mir über die Publikationen des knappen Dutzends Schriftsteller - Schriftstellerinnen gehören eher nicht dazu - österreichischer Provenienz, die sich unter diesem Etikett rubrizieren lassen, ziemlich konturlos. Wäre also gerade Peter Henisch so etwas wie der paradigmatische Vertreter einer in den Sechzigerjahren politisierten Autorengeneration, die die herrschenden Zustände im Sinne der Frankfurter Schule zu analysieren versuchten und dabei auch ein Role-Model für den kritischen Intellektuellen abzugeben begannen? Dafür spricht vieles, nicht nur seine im Geist des Blues schwingende empathische Melancholie oder die Selbstdefinition als passionierter Außenseiter, als der er sich neben anderen, die längst zu zynischen Insidern geworden sind, unbedingt weiter behaupten möge. (Walter Famler, Album, DER STANDARD, 17./18.8.2013)