"Das schönste Buch schreibt das Leben", meint Politiker Strache.

Foto: standard/fischer

"Hören Sie, das ist ein Blödsinn", meint hingegen Buchautor Glavinic.

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STANDARD: Herr Glavinic, Ihr neues Buch "Das größere Wunder" erscheint Ende August. Es ist ein Liebesroman, ein Buch über das Erwachsenwerden, ein Buch über die Freiheit. Wie steht es um die Freiheit der Kunst in Österreich?

Glavinic: Gut. Es wird jedenfalls niemand für seine Kunst verfolgt. Dass Leute sich über Skulpturen oder Bücher aufregen, gehört zu ihrem Recht, das ist keine Beschneidung der künstlerischen Freiheit. Problematischer sehe ich, dass die Zeiten vorbei sind, in denen sich die Politik verteidigend eingemischt hat, wenn aus einer bestimmten Ecke Anfeindungen laut geworden sind. Die Künstler stehen alleine da.

Strache: Ich sag immer, das schönste Buch schreibt das Leben…

Glavinic: Bitte, wieso schreibt denn das schönste Buch das Leben? Wissen Sie, was ein Roman ist? Ein Roman stellt die Welt in einer idealen Weise konzentriert dar. Was wir im Alltag erleben, ist durchsetzt mit Leerlauf und alltäglicher Langeweile. Ein Roman ist ja viel besser!

Strache: Das ist eine Frage der inneren Einstellung. Es gibt Menschen, die sind dazu bestimmt, ihr Leben mit wenigen Leerläufen zu bestreiten. Aber ich gebe Ihnen recht: Das Schöne an Literatur und Kunst ist, dass man durch das Lesen die Gedanken anderer kennenlernt, was eine Weiterentwicklung möglich macht.

Glavinic: Hilft das bei Ihnen?

Strache: Selbstverständlich!

Glavinic: Was lesen Sie denn?

Strache: Leider nichts von Ihnen, das werde ich nach der Wahl nachholen. Wahrscheinlich das Erstlingswerk.

STANDARD: Da geht es um Schach, das spielen Sie ja beide.

Glavinic: Wissen Sie, dass fünfzig Prozent der weltbesten Schachspieler ohne Vater aufgewachsen sind?

Strache: Interessant. Sie sind vaterlos? So wie ich?

Glavinic: Ja. Es gibt die Theorie, dass der König des Gegners der Penis des Vaters ist. Ist nicht von mir, sondern vom Großmeister und Psychiater Ruben Fine.

Strache: Wird es jetzt tiefenpsychologisch? Meine Lieblingsfigur ist die Dame. Die ist am besten am Feld und hat dadurch den größten Reiz.

Glavinic: Da hat er leider recht.

Strache: Für mich ist das Schachspielen deswegen interessant, weil man lernt strategisch heranzugehen, so viele Züge wie möglich in Erinnerung zu behalten und vor zu denken. Dadurch lernt man Selbstdisziplin.

Glavinic: Es geht sehr um Selbstzweifel.

Strache: Selbstzweifel zu haben ist zutiefst menschlich.

Glavinic: Glauben Sie an Gott?

Strache: Ja.

Glavinic: Gut. Angenommen Sie sterben morgen, was wird er Ihnen sagen?

Strache: (lacht) Ich bin davon überzeugt, dass ich lebe…

Glavinic: Ja, gut, das sehe ich... Ich meine: Sind Sie im Plus oder im Minus? Was steht unter dem Strich, auch moralisch?

Strache: Man muss sein Leben so verstehen, dass es mit Fehlern behaftet ist, mit Lernprozessen, mit Weiterentwicklungsprozessen und da bin ich noch lange nicht dort angekommen, wo ich hin möchte. Aber das ist das Schöne: Dass man versucht, ein nach seinen Moralmaßstäben anständiges Leben zu leben.

Glavinic: Wie legt sich das auf Ihr politisches Leben um?

Strache: Indem ich versuche als Mensch mit mir selbst im Reinen zu sein, man kann es auch als Selbstliebe bezeichnen, mit dem Wissen auch Fehler zu haben. Und politisch, da kommen wir jetzt in die unterschiedlichen Ebenen, wo wir einander auch diametral gegenüberstehen…

Glavinic: Woher wissen Sie, wo ich politisch stehe?

Strache: Was ich gelesen habe… zum Beispiel als Sie unserer Kultursprecherin Heidemarie Unterreiner geraten haben, ihre Tabletten zu nehmen. Es ist im Übrigen nicht statthaft, das zu einer Frau zu sagen.

Glavinic: Zu einem Mann dürfte ich?

Strache: Nein, aber Sie haben zum Beispiel gesagt, wer die FPÖ wählt, hat nicht genug im Kopf. Das heißt, Sie haben allen freiheitlichen Wählern den Intellekt abgesprochen.

Glavinic: Das ist ja auch richtig. Wobei ich manchmal etwas überspitze.

Strache: Das mache ich auch manchmal.

Glavinic: Die Frau Unterreiner ist fachlich nicht sonderlich beschlagen. Wobei ich mich ohnehin frage, wieso Sie eine Kultursprecherin brauchen. Aber was sie damals bezüglich Subventionen behauptet hat, war schlecht recherchiert oder bösartig zusammengefasst. Als Kultursprecherin sollte man ein wenig Ahnung haben.

Strache: Frau Unterreiner hat schon Akzeptanz, vielleicht nicht bei allen Künstlern...

Glavinic: Bei welchen Künstlern hat die FPÖ denn Akzeptanz?

Strache: Bei aller Wertschätzung, aber wir haben auch ein paar Künstler...

Glavinic: Bitte, wer soll das sein, außer ein paar Sonntagsmalern…

Strache: Ich kenne Künstler, die Angst haben sich zur Partei zu bekennen, weil sie sonst in diesem Staatskunstförderungssystem keine Chance hätten!

Glavinic: Das sind feige Leute, die sich nicht zu ihrer Gesinnung bekennen? Das sind also Ihre. Darauf können Sie stolz sein.

Strache: Sie sollten das Problem ernst nehmen, gerade als Künstler. Manche sind charakterlich stärker und manche weniger.

Glavinic: Sind Sie der Anwalt der gescheiterten Künstler?

Strache: Nein, von allen.

Glavinic: Sie kommen aus einem Burschenschafter-Milieu, in dem Mut, Charakter, Festigkeit eine Rolle spielen. Da frage ich mich, wie das dann zusammen geht.

Strache: Deswegen braucht es einen Robin Hood, der sich für die Entrechteten einsetzt und den Mut, den andere nicht haben, vorlebt.

Glavinic: Christi Himmel, noch einmal: Welche bekannten Künstler haben sich je zu Ihnen bekannt?

Strache: Glauben Sie mir… (lange Pause) wenige.

STANDARD: Welche Bücher haben Sie geprägt?

Strache: Das letzte Buch, das mich fasziniert hat, war "Der Alchimist" von Paulo Coelho. Damals hatte ich eine interessante Lebensphase, wo ich auf der Suche war…

Glavinic: So vor zwanzig Jahren...

Strache: Nein, vor einem Jahr. Wir sind ja immer Suchende! Das Buch hat mich geprägt, weil das Gute, das man sucht oft so nahe ist. Sonst hat mich vieles geprägt: Eltern, Umfeld, Schule.

Glavinic: Sie waren im Internat?

Strache: Stimmt. Was einen nicht umbringt, macht einen härter.

Glavinic: So könnten Sie auch jede Watschen verteidigen. Würden Sie Ihre Kinder ins Internat geben?

Strache: Ich kann es mir leisten, das nicht tun zu müssen. Meine Mutter hatte keine Wahl. Es war ihr nicht möglich, sich den ganzen Tag um mich zu kümmern. Das begreift man als Kind nicht, macht seiner Mutter Vorwürfe. Jetzt weiß ich zu schätzen, was sie für mich getan hat.

Glavinic: Schürt das Verlassenheitsängste?

Strache: Mit Sicherheit. Wenn die Mutter keine Zeit hat – und Vater hatte ich keinen – versucht man das zu hinterfragen. Das entscheidende ist: manches versteht man erst später. Man lernt in solchen Prägungsphasen früher, als andere das tun. Ich wurde zum Beispiel früher selbstständig.

Glavinic: Fast alles, was ich über Gut und Böse weiß, weiß ich aus der Literatur: weil sie ein umfassendes Bild über den Menschen schafft. Ich verstehe nicht, wie Sie ohne so etwas auskommen.

STANDARD: Welche Autoren haben Sie denn geprägt?

Glavinic: Tolstoi, vor allem mit Anna Karenina, der ganze Knut Hamsun, Truman Capote, Bukowski, Marquez, ach, es waren so viele.

Strache: Für Menschen wie Sie ist Literatur im eigentlichen Sinn wichtig. Für Menschen wie mich ist alles, was mit Philosophie, Geschichte zu tun hat, interessanter.

Glavinic: Dann haben Sie Literatur von Grund auf nicht verstanden. Literatur schließt das alles mit ein. Wenn Sie etwas über das spätere 19. Jahrhundert in Russland lesen wollen, dann lesen Sie Anna Karenina.

STANDARD: Auf welche Art prägen denn Ihre Bücher?

Glavinic: Das weiß ich natürlich nicht mit Sicherheit. Ich hoffe, dass ich Menschen zum Mut präge: zum Mut der Individualität, zum Mut zum Freiheitsgedanken, zum Mut, der Mensch zu werden, der ihn ihnen angelegt ist, ein Leben zu leben, dass es so noch nicht gegeben hat.

Strache: Da bin ich wieder bei dem Satz, dass das schönste Buch das Leben schreibt…

Glavinic: Hören Sie, das ist ein Blödsinn!

Strache: Ich habe das erlebt! Dass jeder junge Mensch seine innere Bestimmung hat, und manchmal abkommt und wieder zurückfindet. Meine Bestimmung ist Politik.

Glavinic: Wovor haben Sie Angst?

Strache: Ich habe keine Angst.

Glavinic: Das ist aber nicht sehr intelligent.

Strache: Moment! Natürlich gibt es eine gewisse Ausprägung von Angst, die gesund ist. Angst ist aber in vielen Situationen auch der schlechteste Ratgeber.

Glavinic: Sind Sie schon auf einen Berg gestiegen?

Strache: Bergsteigen ist ein guter Punkt. Wer zuviel Angst hat, wird es nie versuchen. Wer zu wenig hat, wird vielleicht nicht zurückommen. Ich habe keine Angst vor dem Tod, aber ich habe Mechanismen wie Vorsicht und Vernunft.

Glavinic: Sie gehen frei und leicht durch das Leben?

Strache: Ja, weil ich positiv bestimmt bin und mich jeden Tag auf den neuen Tag freue.

Glavinic: Das macht mich wahnsinnig. Wie wäre das wenn Sie nicht mehr Chef der FPÖ wären?

Strache: Herrlich, dann hätte ich mein Leben. Vielleicht werde ich Schriftsteller!

STANDARD: Sie wollten vor den Wahlen ein Buch darüber schreiben, wie Sie wirklich sind. Wie steht es damit?

Strache: Es ist vorangeschritten, aber es macht vor den Wahlen keinen Sinn mehr.

Glavinic: Würden Sie mit dem Buch am Bachmann-Preis teilnehmen?

Strache: Ich glaube nicht. Das Buch hat eine andere Aufgabe: Meine Person so aufzuzeigen, wie man mich nicht kennt. Man hat immer nur die reduzierte Fassung meines Lebens, aber nicht alle hundert Prozent. Preis wird man mir hier keinen verleihen. Vielleicht sollte ich einen stiften. Aber vermutlich würde ich nicht einmal den gewinnen. (lacht)

Glavinic: (lacht) Vermutlich nicht. (Saskia Jungnikl, DER STANDARD, Langversion, 17./18.8.2013)